28.10.2025 Fachbeitrag

Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 KSchG bei geplantem Personalabbau

Update Arbeitsrecht Oktober 2025

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.07.2025 – 12 SLa 640/25

Eine nach Betriebsübergang isoliert geführte Organisationseinheit für Widersprechende (Restbetrieb) ist für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG nach der im Zeitpunkt der einheitlichen unternehmerischen Abbauentscheidung typischen Beschäftigtenzahl zu beurteilen. Stellt sich der Restbetrieb bereits bei seiner Konstituierung als Abwicklungsbetrieb dar, ist der dortige Personalbestand zu diesem Zeitpunkt maßgeblich, wie das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.07.2025 – 12 SLa 640/25 – zeigt.

Sachverhalt

Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt insgesamt ca. 49.000 Mitarbeiter. Zu 1. Juli 2023 ging die Geschäftseinheit, zu der auch der Betrieb des Klägers gehörte, auf die I-GmbH über. Der Kläger und 37 weitere Beschäftigte widersprachen dem Betriebsübergang.

Die Beklagte richtete sodann einen „Restbetrieb“ ein, dem die widersprechenden Beschäftigten zugeordnet wurden. Dieser Restbetrieb diente dem Zweck, die Arbeitsverhältnisse der verbliebenen Arbeitnehmer (schrittweise) zu beenden. Zwischen August 2023 und Februar 2024 bewarb sich der Kläger intern 41-mal erfolglos.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 31. August 2024. Zum Kündigungszeitpunkt arbeiteten im Restbetrieb noch fünf Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage mit der Begründung ab, dass das Kündigungsschutzgesetzt (KSchG) aufgrund der Unterschreitung des Schwellwertes von zehn regelmäßig Beschäftigten (§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG) nicht anwendbar sei. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein.

Entscheidungsgründe

Das LAG Berlin-Brandenburg gab der Berufung statt und erklärte die Kündigung für sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Nach Auffassung des LAG findet das KSchG auf den vorliegenden Fall Anwendung.

Der Betrieb erreicht die gemäß § 23 Abs. 1 S.3 KSchG erforderliche Mindestbeschäftigtenanzahl von mehr als zehn Beschäftigten.

Zwar kommt es bei der Bestimmung der Betriebsgröße gemäß § 23 Abs. 1 KSchG grundsätzlich auf die Anzahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Entscheidend sei aber, ob ein Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung darüber beruht, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden sollen – auch wenn diese Entscheidung vorsieht, dass der Personalabbau stufenweise vorgenommen werden soll.

Im vorliegenden Fall verwirklichte die Beklagte die Abwicklung des Restbetriebes stufenweise durch Versetzungen, Altersteilzeit, Aufhebungsverträge und schließlich durch den Ausspruch von Kündigungen. Die Entscheidung, die Arbeitsverhältnisse der widersprechenden Arbeitnehmer zu beenden, hatte die Beklagte nach Auffassung des Gerichts bereits mit Konstituierung des Restbetriebes getroffen, insbesondere weil zu keinem Zeitpunkt die Fortführung des verkleinerten Restbetriebes beabsichtigt war. Die stufenweise Verwirklichung dieses Planes durch Altersteilzeit, Versetzung oder Aufhebungsvereinbarungen und letztlich durch den Ausspruch von Kündigungen, stellt sich vor diesem Hintergrund als Verwirklichung einer einheitlichen Planung dar.

Die Kündigung scheiterte in der Sache an § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Der Kläger hatte durch konkrete interne Bewerbungen auf noch offene Stellen Möglichkeiten einer anderweitigen Beschäftigung im Unternehmen aufgezeigt. Deshalb traf die Beklagte die abgestufte Darlegungslast, im Einzelnen zu erläutern, warum eine Umsetzung des Klägers auf die jeweiligen Positionen ausscheide. Pauschaler Vortrag, es habe „deutschlandweit“ keine geeigneten Stellen gegeben, genügte nicht. Eine bloße Teilnahme des Klägers am internen Stellenmarkt ersetzt nicht die gesetzliche Pflicht, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu prüfen und – bei Eignung – zu realisieren.

Praxistipp

Wird nach einem Betriebsübergang ein Restbetrieb für Widersprechende gebildet und von Beginn an erkennbar als Abwicklungsvehikel geführt, kann der Schwellenwert des § 23 Abs. 1 KSchG nicht durch zeitlich gestaffelte Abbauschritte „unterlaufen“ werden. Maßgeblich ist nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg die Beschäftigtenzahl im Zeitpunkt der einheitlichen Abbauentscheidung bzw. der Konstituierung des Restbetriebs. Arbeitgeber sind gut beraten, die Planungsentscheidung, deren Ziel und Umfang des beabsichtigten Abbaus sowie die Organisationsentscheidung zum Restbetrieb nachvollziehbar zu dokumentieren.

Für die soziale Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen bleibt auch die unternehmensweite Weiterbeschäftigungspflicht zentral. Interne Bewerbungen des Arbeitnehmers konkretisieren dessen Eignungsbehauptung und lösen eine substanzielle Erwiderungslast zur Eignung, Anforderungsprofilen und Besetzungsentscheidungen aus. Pauschaler Vortrag genügt nicht. Um Rechts- und Prozessrisiken zu reduzieren, sind freie oder voraussichtlich frei werdende Stellen frühzeitig zu identifizieren, mit Anforderungsprofilen zu hinterlegen und die Geeignetheitsprüfung nachvollziehbar zu dokumentieren. Ein strukturiertes Matching-Verfahren und belegbare Auswahlentscheidungen sind in Abbauphasen wesentliche Bausteine rechtssicherer Personalmaßnahmen.

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