Entschädigung für permanente unzulässige Überwachung am Arbeitsplatz
Update Arbeitsrecht Oktober 2025
LAG Hamm 28.05.2025 - 18 SLa 959/24
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat ein Urteil dazu gesprochen, wann und warum eine umfangreiche, dauerhafte Kameraüberwachung von Beschäftigten unzulässig ist und welche monetären Folgen dies für den Arbeitgeber haben kann.
Hintergrund
Im Industriebetrieb der Beklagten wurden zahlreiche Videokameras installiert. Diese erfassten nahezu die gesamte Produktionshalle sowie weitere Betriebsbereiche. Die Kameras zeichneten in hoher Bildqualität auf und boten zudem die Möglichkeit, heranzuzoomen. Der Kläger als betroffener Arbeitnehmer wurde an seinem Arbeitsplatz meist von hinten, beim Verlassen des Arbeitsplatzes jedoch auch von vorne gefilmt. Die Videokameras filmten 24 Stunden am Tag, eine Tonaufnahme fand nicht statt. Die Aufnahmen wurden für 48 Stunden gespeichert. Hinweise auf die Videoüberwachung waren an den Eingängen zum Betrieb angebracht. Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume wurden nicht gefilmt; ansonsten gab es im Arbeitsbereich aber keinen überwachungssicheren Rückzugsraum. Insgesamt lief die Überwachung über einen Zeitraum von rund 22 Monaten.
Der Arbeitgeber begründete die Videoüberwachung mit mehreren Zielen: Abschreckung und Aufklärung von Diebstählen sowie Vandalismus, Steigerung der Arbeitssicherheit durch Auswertung von Arbeitsunfällen, Nachverfolgung von Maschinenausfällen und Dokumentation korrekter Verladevorgänge. Der Zugang zu Aufnahmen sei nur wenigen Personen möglich gewesen.
Im Arbeitsvertrag des Klägers fand sich ein Passus, in dem es wörtlich hieß:
„Der Arbeitnehmer ist damit einverstanden, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses und unter Beachtung der Vorschriften des Datenschutzes ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden können.“
Nach knapp zwölf Monaten hatte der Kläger den Arbeitgeber darauf hingewiesen, dass die Videoüberwachung unerwünscht und aus seiner Sicht unverhältnismäßig sei. Trotzdem führte der Arbeitgeber die Videoüberwachung fort.
Bewertung durch das Gericht
Videoaufnahmen von Beschäftigten sind personenbezogene Daten. Ihre Verarbeitung ist nur erlaubt, wenn es dafür eine Rechtsgrundlage gibt. Besonders wichtig ist die Verhältnismäßigkeit: Der Nutzen der Überwachung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Eingriff in die Privatsphäre stehen.
Das Gericht stellte fest, dass die umfassende, langfristige und engmaschige Kameraüberwachung einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters darstellt.
Entscheidend war die Kombination mehrerer Faktoren: die große Anzahl der Kameras, die fast lückenlose Erfassung der Arbeitsbereiche, die Möglichkeit des Zoomens, die hochauflösende Bildqualität und die Dauer von fast zwei Jahren. Dies führte nach allgemeiner Lebenserfahrung zu einem erheblichen Anpassungs- und Beobachtungsdruck. Ein Beschäftigter, der sich faktisch ständig im Blickfeld von Kameras bewegt und dessen Bewegungen und Präsenz jederzeit einsehbar sind, wird in seinem selbstbestimmten Verhalten spürbar eingeschränkt.
Die vom Arbeitgeber angeführten Zwecke konnten diese Intensität der Überwachung nicht rechtfertigen. Zur Diebstahlsprävention genügt eine derart weitreichende Beobachtung des gesamten Innenbereichs nicht, zumal die behaupteten Risiken kaum konkret von der Arbeitgeberseite belegt waren. Wo die Gefahr eher von außen droht (z.B. Einbrüche), wären weniger eingriffsintensive Maßnahmen wie die Überwachung von Zufahrten, Eingängen oder Außenbereichen naheliegender. Auch für die Arbeitssicherheit und die Auswertung von Unfällen fehlten konkrete Angaben zu Häufigkeit, Orten und dem Nutzen von Videoaufzeichnungen. Ähnliches gilt für die Nachverfolgung von Maschinenausfällen. Das Argument der Dokumentation korrekter Verladungen des produzierten Materials trug ebenfalls nicht, denn die Kameras erfassten weit mehr als den Verladebereich, und die (vor diesem Hintergrund) kurze Speicherdauer spricht gegen einen belastbaren Nachweis im Streitfall mit Kunden. Die streitgegenständliche Videoüberwachung war unverhältnismäßig und deswegen nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO gerechtfertigt.
Eine wirksame Einwilligung des Mitarbeiters in die Videoaufnahmen lag nicht vor. Eine pauschale Zustimmung im Arbeitsvertrag wie im vorliegenden Fall genügt als Rechtsgrundlage nicht. Eine wirksame Einwilligung muss freiwillig, transparent und informiert sein. Im Arbeitsverhältnis ist echte Freiwilligkeit regelmäßig problematisch, im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages faktisch nicht vorhanden. Vorliegend war die „Einwilligung“ zudem als fortlaufende Nummer in den Arbeitsvertag aufgenommen, es gab keine sichtbare Trennung. Der Arbeitnehmer konnte also den Arbeitsvertrag nicht abschließen, ohne die Einwilligung abzugeben. Hinzu kommt, dass er nicht über sein Widerrufsrecht informiert wurde.
Folgen der Rechtsverletzung
Wegen der schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts sprach das Gericht dem Mitarbeiter eine Geldentschädigung gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB in Höhe von 15.000 Euro zu.
Bei der Bemessung der Höhe waren vor allem die Dauer der Maßnahme, der nahezu vollständige Erfassungsbereich innerhalb der Halle, die Möglichkeit der Live-Kontrolle und die nachhaltige Drucksituation maßgeblich. Zugunsten des Arbeitgebers wurde berücksichtigt, dass die Überwachung offen erfolgte. Ausschlaggebend war jedoch, dass die Intensität der Beobachtung im Verhältnis zu den schwach belegten Zielen deutlich überzogen war.
Die Entscheidung unterstreicht, dass Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur im eng gesteckten Rahmen zulässig ist. Arbeitgeber müssen Zwecke, Erforderlichkeit und Ausgestaltung sehr genau begründen, tatsächliche Interessen konkret belegen und stets das mildeste Mittel wählen. Pauschale Sicherheits- oder Organisationsinteressen reichen für eine dauerhafte Rundumüberwachung nicht aus.