30.06.2021Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juni 2021

Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit: EuGH will Lohnlücke zwischen Männern und Frauen entgegenwirken

EuGH vom 3. Juni 2021, C-624/19

Dass Frauen im gleichen Betrieb für gleiche Arbeit oftmals einen geringeren Lohn erhalten, ist schon lange bekannt. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist – bei allen statistischen Streitereien um die tatsächliche Größe – ein Fakt, obschon eine schlechtere Bezahlung wegen des Geschlechts gegen deutsches und europäisches Recht verstößt.

SACHVERHALT 

Rund 6.000 Verkäufer, die in Ladengeschäften von Tesco Stores beschäftigt sind oder waren, klagen gegen ihren britischen Arbeitgeber und machen – unter Verweis auf einen Verstoß gegen nationale Vorschriften sowie gegen Art. 157 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) – geltend, dass Männer und Frauen, die in den Vertriebszentren von Tesco Stores beschäftigt seien, trotz gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit ein besseres Entgelt erhielten. In den Ladengeschäften und den Vertriebszentren von Tesco Stores fänden gleiche Arbeitsbedingungen Anwendung, welche auch auf eine einheitliche Quelle zurückzuführen seien.

Als Einzelhändler, der seine Waren sowohl online als auch in 3.200 Ladengeschäften im Vereinigten Königreich vertreibt, beschäftigt Tesco Stores in seinen 24 Vertriebszentren rund 11.000 Arbeitnehmer sowie 250.000 Arbeitnehmer in den unterschiedlich großen Ladengeschäften auf unterschiedlichen Positionen. 

Tesco Stores vertritt die Ansicht, eine unmittelbare Anwendbarkeit von EU-Recht sei nicht gegeben; diese gebe es vielmehr nur bei gleicher Arbeit. Im Übrigen gebe es keine gemeinsamen Arbeitsbedingungen der in dem Vertriebsnetz und in den Ladengeschäften beschäftigten Arbeitnehmer. Tesco Stores könne schließlich auch nicht als „einheitliche Quelle“ angesehen werden, auf die sich die Arbeitsbedingungen in den Ladengeschäften und in den Vertriebszentren ihres Vertriebsnetzes zurückführen ließen.  

Das Arbeitsgericht in Watford (U.K.) hat die Verfahren daraufhin ausgesetzt, den EuGH angerufen und diesen um Klärung gebeten, ob eine unmittelbare Wirkung des Unionsrecht, hier Art. 157 AEUV, zwischen Arbeitnehmern und privaten Arbeitgebern für Klagen bestehe, die darauf gestützt werden, dass die Kläger eine gleichwertige Arbeit wie die Vergleichspersonen verrichten. 

ENTSCHEIDUNG 

Nach der Entscheidung des EuGH entfaltet Art. 157 AEUV in Rechtstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen auch bei „gleichwertiger Arbeit“ im Sinne der Vorschrift geltend gemacht wird, unmittelbare Wirkung. 

Art. 157 AEUV lege bereits seinem Wortlaut nach, eindeutig und bestimmt eine Ergebnispflicht auf und habe zwingenden Charakter – dies gelte sowohl in Bezug auf eine „gleiche“ als auch „gleichwertige“ Arbeit. Entsprechend sei bereits entschieden worden, dass das Verbot diskriminierender Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern nicht nur für staatliche Stellen verbindlich sei, sondern sich auch auf alle Tarifverträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln sowie alle Verträge zwischen Privaten erstrecke. 

Nach ständiger Rechtsprechung entfalte Art. 157 AEUV insofern unmittelbare Wirkung, indem er für Einzelne Rechte begründe, die von den nationalen Gerichten zu gewährleisten seien. Die unmittelbare Wirkung von Art. 157 AEUV sei insbesondere nicht auf die Fälle beschränkt, in denen die miteinander verglichenen Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts die „gleiche Arbeit“ verrichten, sondern auch eine “gleichwertige Arbeit“.

Ein Anspruch aus Art. 157 AEUV sei nur dann nicht gegeben, wenn sich die Unterschiede bei den Entgeltbedingungen für Arbeitnehmer, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, nicht auf ein und dieselbe „Quelle“ zurückführen lassen. In diesen Fällen fehle eine Einheit, die für die Ungleichbehandlung verantwortlich sei. 

Das britische Gericht hat nunmehr im Einklang mit der Entscheidung des EuGH über die Frage, ob Tesco Stores eine „einheitliche Quelle“ darstellt sowie darüber zu befinden, ob die Tätigkeiten im Ladengeschäft einerseits und die im Vertriebszentrum andererseits „gleichwertig“ sind. 

PRAXISTIPP

Mit seiner Entscheidung vom 3. Juni 2021 stärkt der EuGH die individuellen Ansprüche von Arbeitnehmern: Zahlt der Arbeitgeber künftig einem Arbeitnehmer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit weniger als einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts, kann sich der Diskriminierte im Rechtstreit mit dem Arbeitgeber auch unmittelbar auf EU-Recht berufen. 

Der EuGH hat jedoch offengelassen, wie eine „einheitliche Quelle“ zu definieren ist und ob diese – wie im deutschen Arbeitsrecht nach arbeitsrechtlichem Gleichbehandlungsgrundsatz – als unternehmenseinheitlicher Begriff, oder konzernweit (ggf. auch über Landesgrenzen hinaus, trotz etwaig unterschiedlicher Preisgefüge in unterschiedlichen Ländern) zu verstehen ist. 

Zum anderen ist auch noch nicht abschließend geklärt, wann eine Arbeit als „gleichwertig“ anzusehen ist. Auf den ersten Blick erscheint die Tätigkeit in einem Ladengeschäft (typische Verkaufstätigkeiten inklusive Kundenansprache) mit einer Tätigkeit im Vertrieb (mutmaßlich Bildschirmarbeit, bzw. Telefonkontakte) nicht „gleichwertig“ – jedenfalls nicht „gleichartig“. Weder in Art 157 AEUV noch in der RL 2006/54/EG sind Anhaltspunkte für die Bestimmung „gleichwertiger“ Arbeit erkennbar. 

Das Arbeitsgericht in U.K. als nationales Gericht hat nunmehr darüber zu befinden, ob die betreffenden Arbeitnehmer die „gleiche“ oder eine „gleichwertige“ Arbeit im Sinne des Art. 157 AEUV verrichten. 

In Deutschland ist die „gleichwertige Arbeit“ noch wenig judiziert. Nach § 4 Abs. 2 EntgTranspG kann von einer „gleichwertigen Arbeit“ ausgegangen werden, wenn unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren (insb. die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen, die Arbeitsbedingungen sowie Qualifikation und Fertigkeiten, Verantwortung und physische/psychische Belastungen) eine „vergleichbare Situation“ vorliegt. Die Rechtsprechung bezieht sich auf die Gesetzesbegründung zu § 612 Abs. 3 BGB, wonach Arbeiten gleichwertig seien, die nach objektiven Maßstäben der Arbeitsbewertung denselben Arbeitswert haben. Für die qualitative Wertigkeit einer Arbeit sei unter anderem das Maß der erforderlichen Vorkenntnisse und Fähigkeiten nach Art, Vielfalt und Qualität bedeutsam (BAG 23.08.1995, 5 AZR 942/93).

Die Frage der Gleichwertigkeit von zwei unterschiedlichen Tätigkeiten ist daher stets eine Frage des Einzelfalls. Zwar erscheint die Tätigkeit im Ladengeschäft auf den ersten Blick nicht mit der im Vertrieb vergleichbar, sofern die jeweils zu vergleichenden Arbeitnehmer jedoch über eine vergleichbare Qualifikation, eine ähnliche Verantwortung und/oder entsprechend vergleichbare Fertigkeiten verfügen, bzw. ähnliche Arbeitsbedingungen vorliegen, kann eine „Gleichwertigkeit“ jedoch durchaus zu bejahen sein. Dies wäre mit Blick auf den hiesigen Fall z.B. denkbar, wenn beide Arbeitnehmer dieselbe Ausbildung abgeschlossen haben und im Bereich „Verkauf“ – sei es „online“ oder im Ladengeschäft – insbesondere als Kundenberater tätig werden. Auf der anderen Seite wird wohl ein im Marketingbereich im Vertrieb eingesetzter Arbeitnehmer nicht mit einem Verkäufer mit typischen Verkaufstätigkeiten vergleichbar sein. 

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