29.08.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2023

Krankheitsbedingte Kündigung – keine Zukunftsprognose nach Unfall

LAG Köln, Urteil vom 28.03.2023 – 4 Sa 659/22

Aktuell gibt es ein Rekordhoch beim Krankenstand der Beschäftigten. Dieser Anstieg kann dazu führen, dass zukünftig vermehrt krankheitsbedingte Kündigungen von Arbeitgeberseite ausgesprochen werden müssen. Das LAG Köln hatte sich jüngst mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit häufige Kurzzeiterkrankungen eine personenbedingte (krankheitsbedingte) Kündigung rechtfertigen können.

Sachverhalt

Die Parteien stritten um eine ordentliche Kündigung des beklagten Arbeitgebers wegen häufiger Kurzerkrankungen. Die 1967 geborene, nicht schwerbehinderte Klägerin war seit dem 01.11.2015 bei der Beklagten als Lagermitarbeiterin beschäftigt. Ab dem 01.01.2019 erkrankte die Klägerin bis zum 04.02.2022, im folgenden Umfang:

2019: 130 Tage

2020: 60 Tage

2021: 164 Tage

2022: 21 Tage.

Die Beklagte leistete an die Klägerin im Jahr 2019 an 69 Tagen, im Jahr 2020 an 38 Tagen und im Jahr 2021 an 56 Tagen Entgeltfortzahlung. Die Klägerin erlitt 2019 und 2020 jeweils einen – nicht beruflich veranlassten – Unfall. Die Parteien führten insgesamt zwei Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) durch, welche am 11.10.2019 sowie am 03.06.2020 abgeschlossen wurden. Mit Schreiben vom 25.08.2021 bot die Beklagte der Klägerin ein weites bEM-Verfahren an. Dies nahm die Klägerin jedoch nicht an. Es erfolgte zudem eine stufenweise Wiedereingliederung der Klägerin.

Mit Schreiben vom 27.01.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich krankheitsbedingt zum 31.03.2022. Die Klägerin erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage. Mit der Kündigungsschutzklage war die Klägerin in der ersten Instanz erfolgreich.

Entscheidung

Die von der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Das LAG Köln führte als Begründung für seine Entscheidung an, dass keine negative Gesundheitsprognose bei der Klägerin vorliege. Bei häufigen Kurzerkrankungen sei dies der Fall, wenn objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten müssten außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes (zweite Stufe) festzustellen sei. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die erste Stufe der negativen Gesundheitsprognose führte das LAG Köln aus, dass der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken könne, die Fehlzeiten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit mitzuteilen. Der Arbeitnehmer muss sodann gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb die Besorgnis weiterer Erkrankungen unberechtigt sein soll. Dieser Mitwirkungspflicht genügt er schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die ihn behandelt haben, soweit darin die Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber bereits tatsächlich positiv beurteilt. Trägt der Arbeitnehmer selbst konkrete Umstände vor, wodurch die Krankheitsursache bedingt ist, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern.

Das LAG Köln stellte hierzu fest, dass die Eigenart der streitgegenständlichen Krankheitsursachen einer negativen Gesundheitsprognose entgegenstehe. Dies liege daran, dass die Klägerin zum einen einen Meniskusriss erlitten habe, wodurch es zu 91 Krankheitstagen im Jahr 2019 gekommen sei. Ferner sei die Achillessehne entzündet gewesen, so dass weitere 11 Krankheitstage hierauf zurückzuführen seien. Damit hätten sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2019 um 102 Tage reduziert, so dass für das Jahr 2019 nur 28 Tage für eine negative herangezogen werden können, die möglicherweise für die Frage der Indizwirkung der negativen Gesundheitsprognose relevant sind.

Im Folgejahr habe ein Unfall zu einer Verletzung des Knies der Klägerin geführt, wodurch insgesamt 50 Krankheitstage entstanden seien. Dadurch verblieben für das Jahr 2020 allein noch 10 Tage, die geeignet sein könnten, um eine negative Gesundheitsprognose zu begründen. Ähnlich verhielt es sich im Jahr 2021. Die erheblichen Krankheitstage resultierten im Wesentlichen aus einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit seit dem 06.07.2021, welche nach dem nicht näher bestrittenen Sachvortrag der Klägerin mittelbare Folge eines Unfalls vom 14.04.2020 waren.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände könne nicht von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen werden, da es sich bei den Erkrankungen um einmalige Ereignisse gehandelt habe, die nicht prognosegeeignet sind.

Praxistipp

Es ist angesichts der steigenden Krankheitszahlen davon auszugehen, dass Arbeitgeber sich vermehrt mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit eine negative Gesundheitsprognose bei einem Mitarbeiter vorherrscht, die zum Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung herangezogen werden kann. Da bei häufigen Kurzzeiterkrankungen die negative Gesundheitsprognose mit Blick auf die letzten drei Jahre prognostiziert werden kann, sollten Arbeitgeber prüfen, ob in diesem Zeitraum alle krankheitsbedingten Fehltage tatsächlich berücksichtigt werden können. Wenn beispielsweise die krankheitsbedingten Fehltage auf einmalige Ereignisse zurückzuführen sind, können diese nach der Rechtsprechung nicht uneingeschränkt berücksichtigt werden.

Arbeitgeber sind daher angehalten, die vergangenen Zeiträume genauer zu prüfen, um festzustellen, ob diese Fehlzeiten berücksichtigungsfähig sind. Ansonsten besteht das Risiko, dass die im Rechtsstreit angeführten krankheitsbedingten Fehlzeiten für die Beurteilung der Frage, ob eine negativen Gesundheitsprognose beim Arbeitnehmer vorliegt, unberücksichtigt bleiben.  

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