Kündigung wegen einer Krankmeldung als unzulässige Maßregelung gemäß § 612a BGB
Update Arbeitsrecht Juni 2025
LAG Hessen Urt. v. 28.03.2025 - 10 SLa 916/24
Das Landesarbeitsgericht Hessen hat mit Urteil vom 28. März 2025 (Az. 10 SLa 916/24) entschieden, dass die vom Arbeitgeber ausgesprochene Probezeitkündigung eines Arbeitnehmers, der kurz zuvor aufgrund eines Arbeitsunfalls eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht hatte, wirksam ist und weder gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB noch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB verstößt. Die Kündigung sei nicht primär wegen des krankheitsbedingten Fehlens, sondern aufgrund allgemeiner Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung und den Sprachkenntnissen des Arbeitnehmers erfolgt. Die zeitliche Nähe zwischen der Krankmeldung und der Kündigung sei allenfalls zufällig gewesen, da der Arbeitgeber nachvollziehbare Gründe für die Kündigung hatte und es auch im Übrigen keine Hinweise auf eine willkürliche oder treuwidrige Handlung des Arbeitgebers gab.
A. Sachverhalt
Der im Jahr 1964 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. August 2023 als Fahrer beschäftigt und erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 2.956,80 Euro. Der Arbeitsvertrag regelte als zusätzliche wesentliche Arbeitsaufgabe des Klägers die Abladung der Stoffe am konkret vorgegebenen Entladeort. Der Arbeitsvertrag sah während der Probezeit eine Kündigungsfrist von zwei Wochen vor. Der Kläger wurde über eine spanische Vermittlungsfirma zusammen mit drei weiteren Arbeitnehmern bei der Beklagten eingestellt.
Am 16. Januar 2024 erlitt der Kläger während der Arbeit als Lader bei der Sperrmüllabfuhr einen Arbeitsunfall. Er rutschte bei Eisglätte auf dem Gehweg aus und zog sich nach den gerichtlichen Feststellungen mindestens eine Prellung der Lendenwirbelsäule zu. Nach den Angaben des Klägers sei es darüber hinaus sogar zu einer Ruptur der Rotatoren-Manschette gekommen.
Am 24. Januar 2024 reichte der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Januar 2024 bescheinigte. Am 26. Januar 2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger, die Kündigung ging ihm am 28. Januar 2024 zu. Zeitgleich wurden auch die Arbeitsverhältnisse zweier weiterer, ebenfalls über die spanische Vermittlungsfirma eingestellter Arbeitnehmer beendet.
Der Kläger erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Urt. v. 25.06.2024 - 18 Ca 908/24) und argumentierte, die Kündigung sei wegen seines Arbeitsunfalls und der darauffolgenden Krankmeldung erfolgt. Er warf der Beklagten zudem vor, ihn nicht vertragsgemäß eingesetzt und gegen Arbeitsschutzvorschriften verstoßen zu haben. Die Beklagte begründete die Kündigung mit ihrer Unzufriedenheit über die Arbeitsleistung des Klägers, der – wie zwei weitere Arbeitnehmer, die über die spanische Vermittlungsfirma bei der Beklagten eingestellt wurden – über keinerlei Erfahrungen als Fahrer verfügte und daher vermehrt Verkehrsunfälle verursacht hatte sowie mit den mangelnden Deutschkenntnissen des Klägers. Dies seien auch die Gründe für die Kündigungen von zwei weiteren über die spanische Vermittlungsfirma an die Beklagte vermittelten Arbeitnehmer gewesen. Insgesamt habe die Beklagte nur einen der insgesamt vier Mitarbeiter, die bei ihr über die spanische Vermittlungsfirma eingestellt wurden, behalten. Die Beklagte bestritt, dass der Arbeitsunfall oder die Krankmeldung für die Kündigung ausschlaggebend gewesen seien oder in diesem Zusammenhang Bedeutung gehabt hätten.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main gab der Klage nur teilweise statt. Es stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 11. Februar 2024 beendet wurde (jedoch nicht zu einem früheren Zeitpunkt) und verurteilte die Beklagte dazu, dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht Hessen ein.
B. Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts Hessen
Das Landesarbeitsgericht Hessen wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
I. Kein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB):
Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung verstoße zunächst nicht gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB und sei daher nicht aus diesem Grund gemäß § 134 BGB unwirksam.
Nach § BGB § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob er ein Recht ausüben wird oder nicht. Das Maßregelungsverbot erfasst mithin einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme des Arbeitgebers ist (vgl. BAG Urt. v. 30.03.2023 - 2 AZR 309/22, NJW 2023, 2139). Nicht ausreichend ist danach, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, so ist auf das wesentliche Motiv abzustellen. Als Maßnahme im Sinne von § 612a BGB ist insbesondere die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses anerkannt (vgl. BAG Urt. v. 30.03.2023 - 2 AZR 309/22, NJW 2023, 2139). Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot trägt der Arbeitnehmer. Er muss insbesondere den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung substantiiert vortragen und unter Beweis stellen.
Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte klar, dass eine Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Krankmeldung nur dann eine unzulässige Maßregelung darstellt, wenn damit das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger jedoch nicht beweisen, dass die Kündigung wegen der Krankmeldung oder wegen des Arbeitsunfalls erfolgte. Die Beklagte konnte glaubhaft nachvollziehbare Gründe für die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Probezeitkündigung, namentlich ihre Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung und den Sprachkenntnissen des Klägers, anführen. Zudem kündigte die Beklagte neben dem Kläger noch zwei weitere Arbeitnehmer, die ebenfalls über die spanische Vermittlungsfirma bei der Beklagten eingestellt worden waren, mit derselben Begründung. Letztlich behielt die Beklagte lediglich einen von vier über die spanische Vermittlungsfirma eingestellten Arbeitnehmern. Auch dieser Umstand spreche nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hessen gegen eine unzulässige Maßregelung des Klägers und damit gegen einen Verstoß der Kündigung gegen § 612a BGB.
II. Kein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB):
Ferner verstoße die Kündigung auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB und sei daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam. Eine Kündigung könne außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) nur dann als treuwidrig angesehen werden, wenn sie willkürlich oder aus sachfremden Motiven erfolgt ist. Das Landesarbeitsgericht Hessen sah im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der Beklagten.
Ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten am Arbeitsunfall hätte allenfalls für Schadensersatzansprüche Bedeutung, nicht aber für die Wirksamkeit der gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Kündigung. Denn es habe sich vorliegend vor allem das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, da der Kläger auf einem eisglatten Gehweg ausrutschte. Die behaupteten Verstöße des Klägers gegen Arbeitsschutzvorschriften (z.B. aufgrund fehlender Handschuhe und aufgrund fehlender Sicherheitsschuhe) seien aus diesem Grund ebenfalls nicht entscheidungserheblich gewesen.
Nach der glaubhaften Begründung der Beklagten erfolgte die Kündigung nicht aus Anlass des Unfalls oder der Erkrankung des Klägers, sondern wegen allgemeiner Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung und den Sprachkenntnissen. Sachfremde Motive oder Willkür könnten daher vorliegend nicht angenommen werden. Denn eine willkürliche Kündigung könne nach ständiger Rechtsprechung bereits dann nicht angenommen werden, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung besteht (vgl. BAG Urt. v. 24.01.2008 - 6 AZR 96/07, NZA-RR 2008, 404). Für das Bestehen eines derartigen Grundes spreche auch hier wiederum der Umstand, dass auch die Arbeitsverhältnisse zweier weiterer Arbeitnehmer, die ebenfalls über die spanische Vermittlungsfirma bei der Beklagten eingestellt worden waren, mit derselben Begründung innerhalb der Probezeit von dieser gekündigt wurden und die Beklagte lediglich einen von insgesamt vier dieser Arbeitnehmer behalten hat.
III. Kündigung während der Probezeit:
Da das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestand, fand das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung. In dieser sogenannten Wartezeit kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen beenden, solange keine sitten- oder treuwidrigen Motive vorliegen. Ein Kündigungsgrund war mithin nicht erforderlich und daher auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Die subjektive Einschätzung der Beklagten hinsichtlich der Eignung des Klägers für die von ihm ausgeübte Tätigkeit sowie hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse genügte vielmehr für die Kündigung. Die Kündigungsfrist betrug vorliegend zwei Wochen. Das Kündigungsschreiben war dem Kläger am 28. Januar 2024 zugegangen. Daher endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 11. Februars 2024, wie das Arbeitsgericht Frankfurt am Main bereits in seinem erstinstanzlichen Urteil zutreffend festgestellt hatte.
C. Zusammenfassung und Praxishinweis
Das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigte in zutreffender Weise die Wirksamkeit der Probezeitkündigung. Es sah richtigerweise weder einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB noch Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB als gegeben an. Der Kläger konnte vorliegend nicht nachweisen, dass mit der Kündigung gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit infolge Krankheit sanktioniert werden sollte. Vielmehr konnte die beklagte Arbeitgeberin andere, glaubhafte Kündigungsgründe vortragen. Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung erfolgte vorliegend daher zur Überzeugung des Gerichts nicht wegen des Arbeitsunfalls oder wegen der Krankmeldung, sondern aus nachvollziehbaren, nicht willkürlichen Gründen, namentlich aufgrund einer Unzufriedenheit mit seiner Arbeitsleistung und seinen Sprachkenntnissen. Maßgeblich für die Bewertung des Gerichts war der Umstand, dass die Kündigung des Klägers Teil einer einheitlichen unternehmerischen Personalentscheidung der Beklagten war, wonach insgesamt drei der vier über die spanische Vermittlungsfirma eingestellten Arbeitnehmer entlassen werden sollten und schließlich auch entlassen wurden.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen überzeugt.
Es zeigt anhand eines einfach gelagerten Sachverhalts auf, dass aus Arbeitgebersicht gerade dann, wenn eine Kündigung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen werden soll, besondere Vorsicht geboten ist. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigung kann Zweifel an der Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung begründen, wenn der Arbeitgeber keine überzeugenden Gründe für die Kündigung vorbringen kann. Dies gilt auch im Fall von Probezeitkündigungen, wo ein Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG an sich nicht erforderlich ist. Selbstverständlich liegen die Anforderungen hier weniger hoch, da es nach der BAG-Rechtsprechung ausreicht, wenn ein „irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung besteht“. Auch wenn die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot grundsätzlich beim Arbeitnehmer liegt, sollten Arbeitgeber – insbesondere bei einem zeitlichen Zusammenhang zwischen einer Arbeitsunfähigkeit und der ausgesprochenen Kündigung – die Kündigungsgründe sorgfältig dokumentieren. Nur auf diese Weise kann der Vorwurf eines Verstoßes der Kündigung gegen das Maßregelungsverbot in einem sich anschließenden Kündigungsschutzprozess wirksam entkräftet werden.