27.02.2023Fachbeitrag

Update Abeitsrecht Februar 2023

LAG Nürnberg: Sozialplan – Pauschale Abfindungskürzung für rentennahe Arbeitnehmer kann gerechtfertigt sein

LAG Nürnberg, Urt. vom 19. Januar 2023 – 8 Sa 164/22

Es kann nach § 10 S. 2, S. 3 Nr. 6 2. Alt. AGG gerechtfertigt sein, wenn die Betriebsparteien in einem Sozialplan die Abfindungszahlungen für Arbeitnehmer, die bei ihrem Ausscheiden bereits das 62. Lebensjahr vollendet haben, pauschal auf ein Viertel der Summe kürzen, die nach der vereinbarten Abfindungsformel ansonsten zu zahlen wäre. Es genügt, wenn die den älteren Arbeitnehmern individuell noch verbleibende Abfindungssumme zumindest geeignet ist, dennoch eine nennenswerte Abmilderung der ihnen drohenden wirtschaftlichen Nachteile zu bewirken.

Sachverhalt

Im Rahmen eines größeren Personalabbaus verhandelten die Betriebsparteien einen Sozialplan, der unter anderem Abfindungsleistungen für die vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer vorsah. Für die bis zu 61 Jahre alten zu entlassenden Arbeitnehmer war die Abfindung danach so zu ermitteln, dass für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit 0,6 Bruttomonatsgehälter angesetzt wurden. Wer jedoch zu einem von den Betriebsparteien festgelegten Stichtag bereits 62 Jahre alt war, dessen Abfindungsanspruch wurde mittels eines zusätzlichen Altersfaktors von 0,25 pauschal um ¾ gekürzt.

Der Kläger war am Stichtag bereits über 62 Jahre alt. Nach über 25 Jahren Betriebszugehörigkeit hätte er bei einem Monatsgehalt von zuletzt knapp EUR 2.500 nach der normalen Formel eine Abfindung in Höhe von rund EUR 37.000 beanspruchen können. Aufgrund des Altersfaktors standen ihm nach dem Sozialplan jedoch nur etwa EUR 9.250 zu. Die Differenz klagte er vor den Arbeitsgerichten ein. Die Sozialplanregelung stelle eine unzulässige Diskriminierung wegen seines Alters dar. Sie sei nicht gerechtfertigt.

Entscheidung des LAG

Genau wie zuvor das Arbeitsgericht Bayreuth wies das LAG Nürnberg die Klage ab. Zwar führe die Stichtagsregelung in dem Sozialplan zu einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters. Diese sei jedoch im vorliegenden Fall nach § 10 S. 2, S. 3 Nr. 6 2. Alt. AGG ausreichend gerechtfertigt.
Bei einem Sozialplan gilt es regelmäßig, ein begrenztes Volumen zu verteilen. Die Betriebsparteien müssten die zur Verfügung stehenden Mittel im Hinblick auf den Ausgleich künftiger Nachteile der Arbeitnehmer, die von der Betriebsänderung betroffen sind, optimieren. Sie müssten darauf achten, dass keine Gruppe übermäßig bevorzugt wird (Verteilungsgerechtigkeit). Die Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge bzw. der Ausschluss dieser Jahrgänge von Abfindungen ist nach Auffassung des LAG grundsätzlich geeignet, für andere Arbeitnehmergruppen größere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und so dem legitimen Ziel einer bedarfsgerechten Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens zu dienen. Bei der typisierenden Beurteilung, rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer seien im Regelfall wirtschaftlich stärker abgesichert als rentenferne Arbeitnehmer, handele es sich um eine den Betriebspartnern im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zustehende Einschätzung.

Der deutsche Gesetzgeber verfolge, so dass LAG, mit der Regelung des § 10 S. 3 Nr. 6 2. Alt. AGG das im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel, den Betriebsparteien zu ermöglichen, Sozialplanleistungen an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlören. Diese Nachteile seien bei Arbeitnehmern, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie gegebenenfalls nach dem Bezug von Arbeitslosengeld gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen könnten, geringer, als bei den von längerer Arbeitslosigkeit bedrohten „rentenfernen“ Arbeitnehmern.

Die Kürzung der Abfindungen für die rentennahen Arbeitnehmer sei im konkreten Fall auch angemessen und erforderlich im Sinne von § 10 S. 2 AGG. So erhalte der Kläger trotz der Kürzung eine Abfindung von immerhin fast vier Bruttomonatsverdiensten. Dies sei nicht zu beanstanden, da er unmittelbar nach dem Bezug von Arbeitslosengeld zumindest Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld habe. Dass der Kläger nur eine relativ geringe vorzeitige Altersrente und spätere Altersrente beziehen werde, mache die Regelung des Sozialplans nicht unverhältnismäßig. Auf die konkrete wirtschaftliche Absicherung des Klägers in seinem Einzelfall komme es dabei rechtlich nicht an.
Die dem Kläger durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile während des Arbeitslosengeldbezuges seien durch die Abfindung in Höhe von rund EUR 9.250 zumindest substantiell ausgeglichen. Dies reiche aus.

Hinweise

Das LAG hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen und der Fall ist bereits beim BAG anhängig (Az.: 1 AZR 15/23).
Die Argumente des LAG Nürnberg stehen durchweg im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Gestaltungsfreiheit der Betriebsparteien bei der Verteilung des typischerweise begrenzten Sozialplanvolumens. Dies gilt speziell auch für generelle Differenzierungen nach dem Lebensalter wie insbesondere auch für die Berücksichtigung der zeitlich absehbaren finanziellen Absicherung im Falle von rentennahen Arbeitnehmern.

Wir werden über den Ausgang des Verfahrens beim BAG berichten. Unabhängig davon dürfte es weiterhin sinnvoll und angemessen sein, bei Sozialplanverhandlungen auf eine „zielgerechte“ Verteilung des Sozialplanvolumens hinzuwirken. Dies wird häufig nur zu erreichen sein, wenn man Abfindungsleistungen bei rentennahen Betroffenen sachgerecht kürzt.

 

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