30.06.2025 Fachbeitrag

Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei der Ausgestaltung und Nutzung interner Meldestellen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz

Update Arbeitsrecht Juni 2025

ArbG Zwickau, Beschl. v. 20.03.2025 – 9 BV 12/24

Im Zusammenhang mit dem immer noch jungen Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) stellen sich nach wie vor viele Fragen hinsichtlich der Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats bei der Implementierung und der konkreten Ausgestaltung der internen Meldestelle. Ob bei der Einrichtung und Ausgestaltung der internen Meldestelle etwa die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb berührt werden, ist in der Literatur umstritten. Rechtsprechung zu dieser Frage fehlte – soweit nach den veröffentlichten Entscheidungen zum HinSchG ersichtlich – bislang, so dass Arbeitgeber weiterhin auf eine Klarstellung der Arbeitsgerichte warten mussten.

Der vorliegende Beschluss des Arbeitsgerichts Zwickau vom 20. März 2025 ist ein erster Schritt zu mehr Gewissheit für die Betriebsparteien und soll daher mit Blick auf seinen Aussagegehalt genauer beleuchtet werden.

Sachverhalt

In dem vorliegenden arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren stritten die Beteiligten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin ist Betreiberin von Senioren- und Seniorenpflegeheimen mit insgesamt mehr als 480 Beschäftigten. Der Antrag in dem Verfahren kam von dem Betriebsrat, der für eines der Senioren- und Seniorenpflegeheime gebildet wurde. Es existiert zudem ein Konzernbetriebsrat für alle Senioren- und Seniorenpflegeheime.

Die interne Meldestelle nach dem HinSchG wurde durch Entscheidung der Arbeitgeberin an einen Dritten für sämtliche Heime „outgesourct“. Ende Oktober 2023 veröffentlichte die Arbeitgeberin zudem auf dem internen „QM-Laufwerk“ eine Verfahrensanweisung zum HinSchG, welche seit dem 1. Dezember 2023 gilt.

Noch vor Inkrafttreten dieser Verfahrensanweisung machte der beteiligte Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung eines internen Hinweisgebersystems geltend. Die Arbeitgeberin lehnte dies unter Verweis auf fehlende einschlägige Mitbestimmungsrechte ab. Nach Inkrafttreten der Verfahrensanweisung und Einführung der internen Meldestelle machte der Betriebsrat nochmals durch seinen Verfahrensbevollmächtigten ein nunmehr konkretisiertes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geltend. Die Arbeitgeberin lehnte dies erneut ab.

Der Betriebsrat hat im Rahmen des Beschlussverfahrens vorgebracht, dass es ihm darum gehe, bei der Ausgestaltung der internen Meldestelle mitzubestimmen. Das HinSchG sehe hierfür Gestaltungsspielräume vor. Dementsprechend beantragte der Betriebsrat festzustellen, dass er ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei der Nutzung und Ausgestaltung der internen Meldestelle nach dem HinSchG besitze.

Die Arbeitgeberin beantragte die Zurückweisung dieses Antrags unter Berufung auf ein fehlendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Eine Pflicht der Mitarbeiter zur Meldung von Verstößen sei nicht gegeben. Die Bildung der internen Meldestelle betreffe lediglich die Organisation und nicht die Ordnung des Betriebs im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Entscheidung des ArbG Zwickau

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zwar im Ergebnis zurückgewiesen; dies wird jedoch mit seiner fehlenden Zuständigkeit begründet. Zum Umfang des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG macht das Arbeitsgericht aber erfreulicherweise einige deutliche Ausführungen.

Zunächst betont das ArbG Zwickau, dass das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht bereits nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz 1. Var. BetrVG ausgeschlossen ist. Eine bindende und abschließende gesetzliche Regelung und damit ein Gesetzesvorbehalt liege nicht vor. Die Vorschriften der §§ 12 bis 18 HinSchG bildeten insoweit keine solchen gesetzlichen Regelungen, die das Mitbestimmungsrecht ausschließen würden. Gegenstand des Antrags seien die Nutzung und Ausgestaltung der internen Meldestelle, welche keinen zwingenden gesetzlichen Vorgaben unterlägen. Vielmehr habe der Gesetzgeber den Arbeitgebern Gestaltungsspielräume etwa in § 14 Abs. 1 S. 1 (Organisationsform der internen Meldestelle), § 15 (weitere Aufgabenwahrnehmung neben der Tätigkeit für die interne Meldestelle), § 16 Abs. 1 S. 3, 4, 5, Abs. 2 (Ausgestaltung der Meldekanäle der internen Meldestelle) HinSchG gelassen.

Im Hinblick auf den Umfang des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG differenziert das ArbG Zwickau zwischen der Ausgestaltung und der Nutzung der Meldestelle:

Bei der Ausgestaltung im Sinne einer organisatorischen Einrichtung der Meldestelle sei ein Mitbestimmungsrecht zu verneinen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG zur Beschwerdestelle nach § 13 AGG (vgl. BAG Beschl. v. 21.07.2009 – 1 ABR 42/08, BeckRS 2009, 69481) fielen unter den Begriff der Ausgestaltung nach dem Verständnis der Kammer auch mitbestimmungsfreie Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers. Es könne nicht bloß darauf abgestellt werden, dass das Arbeitsverhalten nicht betroffen sei. Nur weil das Arbeitsverhalten nicht betroffen sei, bedeute dies nicht, dass zwingend das Ordnungsverhalten betroffen sein müsse. Nicht jede Maßnahme des Arbeitgebers, die nicht das Arbeitsverhalten betreffe, stelle automatisch eine das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme dar.

Die Entscheidung der Arbeitgeberin über das „Outsourcing“ der internen Meldestelle nach § 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 HinSchG unterliege daher nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Gleiches gelte für die Entscheidung der Arbeitgeberin über die konkrete Stelle, die als Dritter im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 HinSchG als interne Meldestelle eingesetzt werden solle.

Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei jedoch bei der Nutzung der internen Meldestelle zu bejahen. Diese betreffe nicht die Organisation des Betriebs, sondern das Verhalten der Arbeitnehmer. Nach Auffassung des ArbG Zwickau komme es dabei nicht darauf an, ob eine Pflicht der Arbeitnehmer zur Meldung bestehe. Maßgeblich sei allein, dass das Verhalten der Arbeitnehmer gesteuert werden solle. Insoweit seien die in der Verhaltensanweisung zur Nutzung der internen Meldestelle gegebenen Vorgaben geeignet, das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern, da eine Mehrzahl von „Soll“-Vorschriften enthalten sei (z.B. welche Fälle gemeldet werden sollen).

Dem Betriebsrat komme letztlich in diesem Zusammenhang auch ein Initiativrecht zu. Selbst wenn der Arbeitgeber keine Verfahrensanweisung erlasse, könne der Betriebsrat von sich aus initiativ Regelungen zur Nutzung der internen Meldestelle fordern.

Das vorliegende Verfahren müsse abseits dessen allerdings an der Zuständigkeit des Betriebsrats scheitern. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG stehe dem Konzernbetriebsrat nach § 58 Abs. 1 BetrVG zu, da die interne Meldestelle für sämtliche Unternehmen der Unternehmensgruppe zentral an einen Dritten vergeben worden sei. Die Entscheidung, eine interne Meldestelle für den gesamten Konzern zentral einzurichten, stellt hierbei wiederum eine mitbestimmungsfreie Organisationsentscheidung des Arbeitgebers dar, welche lediglich die Konsequenz einer geänderten Zuständigkeit nach sich ziehe.

Praxishinweis

Der Beschluss macht deutlich, dass bei der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mit der mitbestimmungspflichtigen Nutzung ein bedeutsamer Bereich für eine Mitbestimmung des Betriebsrats verbleibt.

Zwar können Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers nicht beeinflusst werden. Gleichwohl können im Nachgang dieser Entscheidungen einflussreiche Modalitäten der Meldestelle und des Meldeverfahrens im Betrieb beeinflusst werden. Dies umfasst vor allem die Aufstellung von Verhaltensregeln im Zusammenhang mit der internen Meldestelle. Auch das genannte Initiativrecht des Betriebsrats gilt es hierbei als Arbeitgeber nicht zu unterschätzen.

Aus Sicht des Arbeitgebers ist zu begrüßen, dass das ArbG Zwickau sich hinsichtlich der Mitbestimmungsfreiheit von Organisationsentscheidungen im Zusammenhang mit der Einführung interner Meldestellen – wie z.B. das „Outsourcing“ der internen Meldestelle – so deutlich positioniert hat. Damit kann der Forderung des Betriebsrats nach einer Mitbestimmung bei entsprechenden vorgelagerten Organisationsentscheidungen schnell der Boden entzogen und Diskussionen deutlich verkürzt werden.

Im Übrigen bleibt abzuwarten, wie weitere arbeitsgerichtliche Entscheidungen den Umfang der Mitbestimmung des Betriebsrats im Zusammenhang mit dem HinSchG umgrenzen werden.

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