30.09.2025 Fachbeitrag

Verhaltensbedingte Kündigung wegen mehrfacher sexueller Belästigung

Update Arbeitsrecht September 2025

LAG Niedersachsen, Urteil vom 29.04.2025 – 11 SLa 472/24

Sexuelle Belästigungen durch eine Führungskraft gegenüber unterstellten Mitarbeiterinnen rechtfertigen regelmäßig eine verhaltensbedingte Beendigungskündigung auch ohne vorherige Abmahnung. Das LAG Niedersachsen bestätigt die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung nach mehrfachen Übergriffen und stellt klar, dass eine zuvor gescheiterte Kündigung im Versäumnisurteil keine Präklusionswirkung entfaltet. Die Entscheidung unterstreicht zugleich die Arbeitgeberpflichten aus § 12 AGG und die Bedeutung einer konsequenten Sanktionierung.

Sachverhalt

Der Kläger, seit 2004 beschäftigter Restaurantleiter eines 4 Sterne Hotels mit 70 Beschäftigten, verheiratet, drei Unterhaltspflichten, GdB 30 (Gleichstellung), bezog zuletzt durchschnittlich 4.651,27 EUR brutto. Nach einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 13. September 2023 erhob er Kündigungsschutzklage. Das Integrationsamt stimmte am 20.November 2023 einer ordentlichen Kündigung zu; mit Schreiben vom 28. November 2023 kündigte die Arbeitgeberin ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Das ArbG Emden wies die Klage gegen die Kündigung vom 28. November 2023 ab und verneinte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Gegenstand der Vorwürfe waren mehrere sexuelle Belästigungen gegenüber unterstellten Mitarbeiterinnen, darunter wiederholte unerwünschte Annäherungen, körperliche Übergriffe sowie anzügliche Bemerkungen und Fragen. Der Kläger bestritt die Vorwürfe weitgehend.

Entscheidung

Das LAG wies die Berufung des Klägers zurück. Eine unzulässige Wiederholungskündigung liege nicht vor, weil die frühere Kündigung lediglich durch Versäumnisurteil aufgehoben worden sei und keine materielle Prüfung der Kündigungsgründe erfolgt sei. Die für die ordentliche Kündigung erforderliche Zustimmung des Integrationsamts lag vor. Nach umfassender Beweisaufnahme bejahte die Kammer mehrere sexuelle Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG gegenüber mindestens vier Mitarbeiterinnen. Angesichts der Schwere und Wiederholung der Pflichtverletzungen war eine Abmahnung entbehrlich; mildere Mittel waren nicht ersichtlich. Die Interessenabwägung fiel zulasten des Klägers aus, auch unter Berücksichtigung seines Lebensalters, der langen Betriebszugehörigkeit, seiner Unterhaltspflichten und der Gleichstellung. Maßgeblich waren die Führungsverantwortung des Klägers, die fortgesetzten Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung der Betroffenen, die nachhaltige Störung der Arbeitsverhältnisse bis hin zur Eigenkündigung einer Mitarbeiterin sowie das geringe Unrechtsbewusstsein des Klägers. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf der tariflichen sechsmonatigen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2024. Der Weiterbeschäftigungsantrag blieb ohne Erfolg.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; die Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig (Az. 6 AZN 349/25).

Praxistipp

Arbeitgeber sind nach § 12 AGG verpflichtet, sexuelle Belästigungen zu unterbinden und geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen bis hin zur Kündigung zu ergreifen.

Die Entscheidung zeigt, dass bei mehrfachen, schwerwiegenden Belästigungen, insbesondere durch Vorgesetzte gegenüber unterstellten Beschäftigten, eine ordentliche Beendigungskündigung ohne Abmahnung rechtmäßig sein kann. Eine zuvor erfolgte, prozessual gescheiterte Kündigung steht einer weiteren Kündigung nicht entgegen, wenn eine materielle Prüfung der Gründe nicht stattgefunden hat.

In der Praxis sollten Arbeitgeber klare Präventions- und Beschwerdestrukturen etablieren, Vorfälle zeitnah, dokumentiert und ergebnisoffen aufklären. Dabei ist auch stets die Verhältnismäßigkeit sorgfältig zu prüfen und bei bestätigten Übergriffen konsequent zu reagieren. Dies dient dem Schutz der Belegschaft, reduziert Haftungsrisiken nach dem AGG und erfüllt die generalpräventive Erwartung an eine klare Compliance Linie.

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