31.07.2025 Fachbeitrag

Zur Abwendung der Vollstreckung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs bei neuer Kündigung

Update Arbeitsrecht Juli 2025

LAG Baden-Württemberg Beschl. vom 02.05.2025 - 10 Sa 29/25

Will ein Arbeitgeber einen erstinstanzlich titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers im Berufungsverfahren vorläufig im Zusammenhang mit einer neuen Kündigung „stoppen“ muss er zusätzlich darlegen, dass ihn durch die Weiterbeschäftigung ein nicht zu ersetzender Nachteil treffen würde. Daneben bleibt ihm die Möglichkeit einer Vollstreckungsabwehrklage, um die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs aufzuhalten. Möchte der Arbeitgeber beide Möglichkeiten kombinieren, muss er aus Sicht des LAG Baden-Württemberg die Berufung im Zweifel (d. h. sofern keine besonderen Nachteile dargelegt werden können) indes auf den Feststellungsantrag beschränken und gegen den dann rechtskräftig werdenden Weiterbeschäftigungsanspruch die Vollstreckungsklage erheben. 

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlich fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie um die Weiterbeschäftigung der Klägerin. Mit erstinstanzlichem Urteil hatte das ArbG den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben und die Beklagte dazu verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. 

Nachdem die Klägerin zur Durchsetzung ihres Weiterbeschäftigungsanspruchs die Festsetzung von Zwangsmitteln beantragte, sprach die Beklagte eine erneute außerordentlich fristlose Kündigung aus. Im Berufungsverfahren beantragte sie, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Durch ihre Folgekündigung sei der Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin erloschen.

Entscheidung

Das LAG wies den Antrag der Beklagten zurück.

Der Antrag der Beklagten sei unbegründet. Es fehle an der Darlegung eines nicht zu ersetzenden Nachteils der Beklagten i. S. d. § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Eine solche Darlegung sei – anders als dies von anderen Landesarbeitsgerichten, zuletzt etwa vom LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf 25. Februar 2022 – 4 Sa 37/22), gesehen wurde – auch bei nachträglich entstandenen Einwendungen gegen den Beschäftigungstitel gerade nicht entbehrlich. Es komme insofern auch nicht darauf an, ob ihre Berufung Erfolgsaussichten habe. Die Prüfung des nicht zu ersetzenden Nachteils sei vorrangig zu prüfen. Gemeint seien hier Umstände aus der wirtschaftlichen, persönlichen oder sozialen Lage des Arbeitgebers.

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i. V. m. Satz 2 ArbGG, § 719 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, § 707 Abs. 1 ZPO könne die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, gegen das Berufung eingelegt wird, dann auf Antrag durch das Berufungsgericht einstweilen eingestellt werden, wenn glaubhaft gemacht werden könne, dass die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

Der Vollstreckungsschutz eines Schuldners gegen eine Verurteilung sei unterschiedlich ausgestaltet. Er müsse sich entscheiden, welchen Weg er einschlagen wolle. Berufe er sich auf Einwendungen, die erst nach dem erstinstanzlichen Urteil entstanden seien, seien die §§ 767, 769 ZPO einschlägig. Mit einer sogenannten Vollstreckungsabwehrklage könne die Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs aufgrund von neuen Umständen (wie eine weitere Kündigung) angegriffen werden.

Solle dagegen der Titel – das Urteil – und nicht nur seine Vollstreckbarkeit mit einem Rechtsmittel angegriffen werden (wie vorliegend der Fall), müsse der Arbeitgeber Vollstreckungsschutz nach §§ 707, 719 ZPO beantragen und ein für ihn nicht zu ersetzender Nachteil darlegten.

Insgesamt handele es sich aus Sicht des LAG Baden-Württemberg um eine differenzierte Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit Fragen der Vollstreckbarkeit von Titeln im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Eine teleologische Reduktion von § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG komme daher nicht in Betracht. Der Arbeitgeber sei hier auch nicht schutzlos, da er Berufung und Vollstreckungsgegenklage bei überschaubarem Kostenrisiko kombinieren könne. Er müsse lediglich – da andernfalls hinsichtlich der Vollstreckungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis bestünde – die Berufung auf die Feststellungsanträge hinsichtlich der Kündigung/en beschränken. Bei Erfolg in der Berufung sei eine erstinstanzliche Verurteilung hinsichtlich der Weiterbeschäftigung ohnehin gegenstandslos. 

Praxistipp

Die Entscheidung des LAG betrifft die praktisch häufige Konstellation, in der mit der Berufung nicht nur die Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils, sondern auch der Weiterbeschäftigungsanspruch selbst angegriffen werden soll. Die übrigen Landesarbeitsgerichte beantworten die Frage, ob im Falle einer beantragten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Berufungsverfahren ein „nicht zu ersetzender Nachteil“ des Arbeitgebers darzulegen ist, teilweise anders und stellen bereits bei einer (nicht offensichtlich rechtswidrigen) Folgekündigung die Zwangsvollstreckung ein. Das LAG Düsseldorf etwa hält es mit beachtlichen Argumenten für unzumutbar, bei einer Folgekündigung neben einer Berufung auch noch eine Vollstreckungsabwehrklage betreiben zu müssen.

Wichtig: Die (drohende) Vollstreckung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs kann regelmäßig erfolgreich durch den Einwand einer neu ausgesprochen außerordentlichen und fristlosen oder ordentlichen Kündigung wegen eines neuen Sachverhalts gestoppt werden. Sofern (auch) der titulierte Weiterbeschäftigungsanspruch als solcher angegriffen werden soll, ist vorsorglich der den Arbeitgeber ansonsten treffende „nicht zu ersetzenden Nachteil“ möglichst konkret darzulegen.

Ein solcher Nachteil liegt vor, wenn dem Arbeitgeber durch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ein Schaden droht, der später nicht oder nur unvollständig rückgängig gemacht oder ausgeglichen werden kann (z. B. sofern eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht (mehr) besteht oder erst geschaffen werden müsste oder bei absehbarer Existenzgefährdung des Arbeitgebers (LAG Berlin-Brandenburg 6. Januar 2009 - 15 Sa 2311/08 (drohende Betriebsgefährdung)). Kann ein Nachteil – wie häufig – nicht begründet werden, sollte das beste Vorgehen aus Arbeitgebersicht unter Berücksichtigung der jeweiligen „Hausmeinung“ des zuständigen Landesarbeitsgerichts einzelfallbezogen erarbeitet werden.

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