05.05.2025 Fachbeitrag

BGH lockert die Voraussetzungen an die (strafrechtliche) Haftung des faktischen Geschäftsführers

Update Compliance 6/2025

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass die Frage, ob jemand als faktischer Geschäftsführer haftet, nicht schematisch anhand eines feststehenden Kriterienkatalogs zu beantworten ist. Maßgeblich sei vielmehr eine einzelfallbezogene Prüfung, ob typische unternehmensleitende Tätigkeiten ausgeführt wurden (Urt. v. 27.2.2025 – 5 StR 287/24).

Der Fall

Im dem BGH zur Entscheidung vorgelegten Fall hatte der Angeklagte sanierungsbedürftige Betriebe in seine Verfügungsgewalt gebracht, sich das noch vorhandene Firmenvermögen rechtswidrig angeeignet und – unter Einschaltung eines geschäftsunerfahrenen Strohmann-Geschäftsführers – agiert. Der bereits in der Vergangenheit als „Firmenbestatter“ in Erscheinung getretene Angeklagte selbst war nicht als Geschäftsführer eingetragen. 

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Beihilfe zu Bankrottstraftaten und Insolvenzverschleppung des Strohmann-Geschäftsführers verurteilt. Als Täter habe er nicht bestraft werden können, weil er weder formeller noch faktischer Geschäftsführer gewesen sei. Er habe nicht eine Mehrzahl von „klassischen Merkmalen“ aus dem Bereich der Unternehmensleitung erfüllt, um ihn als faktischen Geschäftsführer zu qualifizieren; insbesondere sei er nicht für die Gesellschaft nach außen aufgetreten.

Der Fünfte Strafsenat des BGH hat das Urteil mit der Begründung aufgehoben, dass das Landgericht den Angeklagten zu dessen Gunsten aufgrund einer rechtsfehlerhaften Würdigung nicht als faktischen Geschäftsführer angesehen habe. Es sei nicht maßgeblich, ob der Angeklagte eine Mehrzahl von „klassischen Merkmalen“ aus dem Kernbereich der Unternehmensleitung erfülle. Relevant sei vielmehr, in welchem Umfang der Angeklagte im Unternehmen tatsächlich zu erledigende organtypische Aufgaben übernommen hat. Ein Auftreten nach außen sei – insbesondere bei „Firmenbestattungen“ – keine zwingende Voraussetzung einer faktische Organstellung.

Der Senat hat die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil ihm eine Entscheidung in der Sache mangels hinreichender Feststellungen nicht möglich war.

Hintergrund: „Firmenbestattungen“

Mit „Firmenbestattungen“ wird ein Phänomen umschrieben, bei dem sanierungsbedürftige Unternehmen durch Übertragung auf oder den Erwerb durch andere Unternehmen (solvent) liquidiert werden. Diese Praxis kann zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen, insbesondere für die beteiligten Geschäftsführer. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Haftung der Geschäftsführer sind komplex und erfordern ein tiefes Verständnis der einschlägigen Gesetze und Normen.

Nicht nur die eingetragene Geschäftsführer unterliegen diesen Risiken. Auch wer „hinter den Kulissen“ die Fäden zieht, ohne als Geschäftsführer bestellt und im Handelsregister eingetragen zu sein, unterliegt als faktischer Geschäftsführer derselben Risikolage wie der offizielle Geschäftsführer. Die Anforderungen an die Bejahung einer faktischen Geschäftsführereigenschaft hat der BGH jetzt gesenkt.

Firmenbestattung: Ein lukratives Geschäftsmodell?

Die (solvente) Liquidation von Gesellschaften ist grundsätzlich zulässig und auch üblich. Die Übertragung von Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage auf Dritte kann allerdings auch als Versuch qualifiziert werden, Gläubiger zu täuschen, Vermögenswerte zu verschleiern und damit diese letztlich dem Gläubigerzugriff zu entziehen. Dies kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere wenn die Übertragung mit betrügerischen Absichten erfolgt.

Im hier besprochenen Fall erfolgte die Liquidation der Gesellschaften planmäßig gänzlich außerhalb des Insolvenzrechts. Es wurden die Gesellschaften liquidiert, ohne jemals einen Insolvenzantrag zu stellen, obwohl ein solcher vielfach hätte gestellt werden müssen (Insolvenzverschleppung, § 15a InsO). Im Rahmen der Abwicklung verleibte sich der Angeklagte zudem über die bulgarische GmbH (die die Anteile an den zu sanierenden Gesellschaften hielt) vielfach Vermögenswerte der zu liquidierenden Gesellschaften rechtswidrig ein (Bankrottstraftaten).

Haftung des (faktischen) Geschäftsführers: Bestehen hier Risiken?

Geschäftsführer tragen eine besondere Verantwortung und können für Fehlverhalten persönlich (d. h. auch strafrechtlich) verantwortlich gemacht werden. Sie sind taugliche Täter der (daher sogenannten) „Sonderdelikte“ Insolvenzverschleppung und Bankrott. Wird wie im besprochenen Fall ein Strohmann als Geschäftsführer eingesetzt, stellt sich die Frage, ob nur oder aber auch der ihn lenkende „Hintermann“ als tauglicher Täter der in Rede stehenden Sonderdelikte in Frage kommt.

Der Strohmann hat oft keine tatsächliche Entscheidungsbefugnis und dient lediglich dazu, die Kontrolle des eigentlichen (im Hintergrund bleibenden) Drahtziehers zu verschleiern.

In der vorliegenden Entscheidung stellt der BGH klar, dass die Prüfung, ob ein faktischer Geschäftsführer vorliegt oder nicht, nicht anhand eines Schemas und eines feststehenden Kriterienkatalogs abzuarbeiten ist. Nach Ansicht des Senats ist vielmehr eine an der konkreten Tätigkeit und der spezifischen Situation orientierte Prüfung, ob tatsächlich geschäftsführertypische Aufgaben wahrgenommen wurden oder nicht, entscheidend. Er weist darauf hin, dass die jeweils bestehende Situation maßgeblich ist und etwa bei „Firmenbestattungen“ für die Feststellung der faktischen Organstellung ein Auftreten nach außen nicht erforderlich ist – anders als z. B. bei werbenden Unternehmen.

Entscheidendes Indiz für die Annahme geschäftsführertypischer Aufgaben war im vorliegenden Fall, dass der Angeklagte stets die Kontrolle über alle wesentlichen Abläufe behielt und keinerlei Informationen an den eigentlichen Geschäftsführer weitergab. Falls er dies dennoch tat, dann hatte dies keinerlei Einfluss auf die Abwicklung, da der eingesetzte formale Geschäftsführer weder über die rechtlichen noch wirtschaftlichen Kenntnisse verfügte, um die Vorgänge nachzuvollziehen.

Praxishinweis

Die vom BGH geforderte flexible und einzelfallbezogene Prüfung der Voraussetzungen der faktischen Organstellung erhöht das Risiko einer strafrechtlichen Verurteilung für bewusst außerhalb der formalen Organstellung bleibender Drahtzieher im Hintergrund.

Das gilt nicht nur für von vornherein auf eine illegale Firmenbestattung angelegte Fälle, sondern auch für die von Unsicherheiten und einer erheblichen Dynamik geprägten legalen Restrukturierung.

Schon bei Anzeichen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einer damit eingehergehenden Insolvenzgefahr sollte frühzeitig rechtlicher Rat eingeholt werden, um eine mögliche Haftung nicht nur des Geschäftsführers, sondern auch von dominanten Gesellschaftern oder sonst Verantwortlichen zu vermeiden. Gerade in monistischen oder persönlich geprägten Gesellschafterstrukturen sind Gesellschafter gut beraten, den geschäftsführertypischen Kernbereich zu achten und in diesen nicht einzugreifen.

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