Ein „Paarvergleich“ genügt – Anspruch auf Entgeltdifferenz wegen Geschlechterdiskriminierung
Update Arbeitsrecht November 2025
BAG, Urteil vom 23.10.2025 - 8 AZR 300/24
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat klargestellt: Für die Annahme einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung ist ausreichend, wenn eine Arbeitnehmerin darlegt und im Streitfall nachweist, dass ein einzelner männlicher Kollege bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit ein höheres Entgelt erhält. Schon dieser „Paarvergleich“ mit einem einzigen Kollegen löst die Vermutung aus, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegt. Auf die Größe einer Vergleichsgruppe oder auf Medianwerte kommt es dafür nicht (mehr) an, so das BAG.
Kann der Arbeitgeber diese Vermutung nicht mit klaren, sachlichen und geschlechtsneutralen Gründen widerlegen, muss er das Gehalt der benachteiligten Arbeitnehmerin auf das Niveau des konkret verglichenen Kollegen anheben – also eine „Anpassung nach oben“ vornehmen.
Worum ging es – und was hat das BAG entschieden?
Im entschiedenen Verfahren berief sich die Klägerin, eine Abteilungsleiterin, unter anderem auf das interne Entgelt-Dashboard nach dem Entgelttransparenzgesetz. Dieses zeigte, dass ein männlicher Kollege in vergleichbarer Funktion mehr Gehalt erhielt.
Das Landesarbeitsgericht hatte in erster Instanz einen Paarvergleich mit nur einer Vergleichsperson für die Annahme einer Geschlechterdiskriminierung nicht genügen lassen und auf Medianwerte abgestellt.
Das BAG hat diese Hürde nun deutlich gesenkt: Ein Vergleich mit einem einzigen männlichen Kollegen genüge, um die – vom Arbeitgeber zu widerlegende – Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts auszulösen. Der Arbeitgeber muss dann im Prozess darlegen, dass allein sachliche, geschlechtsneutrale Gründe die Gehaltsdifferenz erklären.
Einordnung in die geltende Rechtslage
Der Grundsatz „Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ ergibt sich aus dem EU‑Recht (Art. 157 AEUV) sowie dem deutschen Grundgesetz (Art 3 GG) und ist in Deutschland insbesondere im Entgelttransparenzgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert.
Das BAG (Urteil vom 21. 01.2021 – 8 AZ 488/19) hatte bereits 2021 entschieden, dass statistische Hinweise (zum Beispiel ein niedrigerer Medianlohn für Frauen) ein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts sein können. 2023 (Urteil vom 16.02.2023 - 8 AZR 450/21) stellte das BAG klar, dass „besseres Verhandlungsgeschick“ keine Rechtfertigung für Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen ist. Das aktuelle Urteil schärft nun die Indizienlogik weiter, indem ein Paarvergleich mit nur einer Vergleichsperson des anderen Geschlechts für die Begründung einer Geschlechterdiskriminierung genügt.
Die Linie des BAG passt zu der bis Juni 2026 ins nationale Recht von den EU-Mitgliedsstaaten umzusetzenden EU-Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970). Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie stärkt Auskunfts- und Informationsrechte von Arbeitnehmern zu Entgelthöhen und -kriterien, verlangt mehr Transparenz schon beim Recruiting (zum Beispiel Offenlegung der Gehaltsspanne vor dem Bewerbungsgespräch und das Verbot, nach früheren Gehältern zu fragen), führt Berichtspflichten ein und erleichtert Arbeitnehmern die Rechtsdurchsetzung. Sobald Indizien für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegen, verschiebt sich die Beweislast noch stärker zum Arbeitgeber. Zudem drohen Schadensersatz und Bußgelder bei Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie.
Was kommt konkret auf Arbeitgeber zu?
Das BAG-Urteil setzt Arbeitgeber bereits heute unter Handlungsdruck. Die Kernaussage ist klar: Ein einzelner Vergleich mit einem vergleichbaren Kollegen oder einer vergleichbaren Kollegin des anderen Geschlechts reicht aus, damit Arbeitgeber erklären und belegen müssen, warum Gehaltsunterschiede bestehen. Wer keine klaren, objektiven und geschlechtsneutralen Gründe vorweisen kann, muss nachzahlen.
Die Entgelttransparenz-Richtlinie mit ihren weitreichenden Pflichten für Unternehmen wird diesen Druck ab 2026 weiter verstärken.
Arbeitgeber sollten vor diesem Hintergrund ihre Vergütungspraxis durchdenken, Rollen und Verantwortungen sauber beschreiben, Stellen objektiv bewerten, Gehaltsbänder und Gehaltsstufen anhand objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien (z.B. Kompetenzen, Verantwortung, Belastungen und Arbeitsbedingungen) festlegen und dokumentieren. Das Entgeltsystem muss objektiv, transparent und prüfbar sein.
Individuelle Abweichungen von dieser Vergütungssystematik im Einzelfall sollten stets dokumentiert und mit objektiven, geschlechtsneutralen Gründen untermauert sein. Denn wer Ungleichheiten rechtfertigen will, braucht eine belastbare und diskriminierungsfreie Dokumentation der Entscheidung. Der allgemeine Verweis auf eine „schlechtere Leistung“ oder „ein besseres Verhandlungsgeschick“ genügen nach der Rechtsprechung des BAG nicht.
Transparente und standardisierte Vergütungsstrukturen werden für Unternehmen vor diesem Hintergrund zukünftig unverzichtbar sein. Sie reduzieren das Haftungsrisiko und gewährleisten Compliance mit der bis Juni 2026 umzusetzenden EU-Entgelttransparenzrichtlinie.
Wir unterstützen Sie gerne bei der Entwicklung und Implementierung eines strukturierten Vergütungssystems sowie bei der rechtssicheren Umsetzung der Anforderungen der Entgelttransparenzrichtlinie. Eine nachvollziehbare und sorgfältig dokumentierte Vergütungsstruktur trägt dazu bei, potenziellen Risiken von Schadensersatzforderungen aufgrund von Geschlechterdiskriminierung vorzubeugen und die Vorgaben der kommenden EU-Richtlinie verlässlich zu erfüllen.