30.09.2019Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht September 2019

Einsichtsrecht des Betriebsrats in namentliche Bruttoentgeltlisten

Der Betriebsrat kann Einblick in die namensscharfe Bruttogehaltsliste der Mitarbeiter verlangen. Datenschutzrechtliche Erwägungen verlangen keine Anonymisierung oder Pseudonymisierung.

BAG, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 ABR 53/17

Sachverhalt

Ein Unternehmen gewährte dem Betriebsrat Einblick in die bei ihm geführte elektronische Datei der Mitarbeitergehälter – die Bruttogehaltsliste, entfernte allerdings die Namen der Mitarbeiter aus der Liste, anonymisierte (richtiger wohl: pseudonymisierte) diese also für den Betriebsrat. Dieser verlangte vor Gericht Einblick in die namensscharfe Bruttogehaltsliste. 

Entscheidung

Der Betriebsrat obsiegte in allen drei Instanzen. Das BAG setzte sich dabei intensiv mit datenschutzrechtlichen Fragen auseinander.

Ausgangspunkt dabei ist die Feststellung, dass die Weitergabe von Daten vom Arbeitgeber an den Betriebsrat – unabhängig von der Diskussion darüber, ob der Betriebsrat „Teil der datenverarbeitenden Stelle“ ist oder selbst eine solche ist – einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Weiter führt das BAG aus, dass § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG selbst keine solche Rechtfertigungsnorm darstelle.

Die datenschutzrechtliche Rechtfertigung für die Datenverarbeitung erfolge vielmehr durch § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG; dort werde die Datenverarbeitung gerechtfertigt, „… wenn dies … zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz … ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist“. § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG berechtigt den Betriebsausschuss oder einen nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschuss dazu, „in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen.“ Entsprechend sei die Datenerhebung durch § 26 BDSG gerechtfertigt, weil dem Betriebsrat das Recht nach § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG zusteht. Einer weiteren Einzelabwägung bedürfe es aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung nicht. Da es sich auch nur um Bruttolisten handele, stünde dem Betriebsrat kein Zugang zu den sensiblen persönlichen Daten (Familienstand, Kinderanzahl, Religionszugehörigkeit) zu. Der Betriebsrat könne überdies nur Einblick nehmen und dies wiederum auch nicht als Gremium, sondern nur Ausschussmitglieder. Schließlich stehe die deutsche Regelung in § 26 BDSG auch im Einklang mit Art. 88 DSGVO, weshalb insgesamt dem Betriebsrat das Einsichtsrecht in die namensscharfe Liste zustehe.

Ferner führt das BAG aus, dass der Umfang des Einblicksrechts des Betriebsrats auch nicht durch die Bestimmungen des EntgTranspG beschränkt werde. Dort fänden datenschutzrechtliche Einschränkungen des Auskunftsrechts der Mitarbeiter Anwendung; diese gelten aber nicht für das vom EntgTranspG losgelöste Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat – zumal, wenn es um dessen eigenständige Rechte aus dem BetrVG geht.

Bewertung

Die Entscheidung des BAG ist in großen Teilen zutreffend und begrüßenswert. Richtig ist v. a. die Feststellung, dass auch im Verhältnis zum Betriebsrat die datenschutzrechtlichen Einschränkungen zu beachten sind, also jede Datenweitergabe an den Betriebsrat einer Rechtfertigung bedarf. Schon am 9. April 2019 (1 ABR 51/17) hatte der erste Senat Gelegenheit, dies auszuführen und dem Betriebsrat eigene Pflichten bei dessen interner Datenverarbeitung und -sicherung vor Augen zu führen (Zugangsbeschränkung, Löschung der ihm vom Arbeitgeber überlassenen Daten usw.). Dies führt das BAG nun mit der Entscheidung vom 7. Mai 2019 fort. 

Das BAG weist ferner zu Recht auf § 26 BDSG hin, der in Abs. 1 S. 1 die Weitergabe von Daten an den Betriebsrat rechtfertigt. Diese Rechtfertigung erfolgt aber – typisch für das Datenschutzrecht – nicht pauschal für jeden Beteiligungstatbestand, sondern ausschließlich im Rahmen der Erforderlichkeit. An dieser Stelle weist die Entscheidung des BAG eine entscheidende Lücke auf. Es verweist zutreffend auf das Erforderlichkeitskriterium in § 26 BDSG. Auch sieht es zutreffend, dass das Einsichtsrecht aus § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG selbst ebenfalls nur im Rahmen der Erforderlichkeit gewährt wird. Es bleibt aber eine Auseinandersetzung mit der Frage schuldig, warum der Einblick in eine namensscharfe Gesamtliste – im Vergleich zum Einblick in eine pseudonymisierte Liste – erforderlich ist. Der Umstand, dass noch persönlichere Daten nicht in Bruttolisten enthalten sind, beschreibt nur die Intensität des Eingriffs, rechtfertigt diesen (nach Einschätzung des BAG milden) Eingriff aber nicht.

Wenn das BAG darauf abhebt, der Arbeitgeber verfüge über eine namensscharfe Liste und der Betriebsrat habe ein Recht auf Einsicht in die Liste, geht das Argument – wie schon in der Vorinstanz beim LAG Hamm – fehl. Der Arbeitgeber verfügt nicht (nur) über eine Liste. Schon im Ausgangsfall besaß der Arbeitgeber augenscheinlich verschiedene (elektronische) Listen; er hat dem Betriebsrat schließlich Einblick in eine anonymisierte Bruttogehaltsliste gewährt. Dem Arbeitgeber liegen alle abrechnungsrelevanten Daten seiner Mitarbeiter vor – einschließlich der sensibleren Daten (Religion etc.). Schon „die“ Bruttogehaltsliste an sich muss gesondert (für den Betriebsrat) erstellt werden. Das Argument verfängt also schon sprachlich nicht. In der Sache ist es zudem verfehlt. Zu fragen ist danach, ob die Namensnennung in der Bruttogehaltsliste (im vorliegenden Fall handelte es ich um einen Betrieb mit zwischen 200 und 400 Arbeitnehmern) irgendeinen Mehrwert für die Tätigkeit des Betriebsrats und die Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten hat. Das Einblicksrecht soll dazu dienen, dem Betriebsrat die Einhaltung und Gewährung von betrieblicher Gehaltsgerechtigkeit zu ermöglichen. Dazu muss er v. a. die Vergütungsdaten, die ausgeübte Tätigkeit, die Stellenbezeichnung und eine etwaige Eingruppierung kennen. Ob der Arbeitnehmer Müller, Schmidt oder Schneider heißt, ist hingegen für diese Frage irrelevant. Es spricht insoweit Bände, dass sich weder aus der Entscheidung des BAG noch derjenigen der Vorinstanz eigenständige Argumente für die Erforderlichkeit der Namensnennung in der Bruttogehaltsliste entnehmen lassen. Sie sind auch nicht erkennbar. 

Angeführt werden insoweit immer wieder Fallgestaltungen, in denen der Betriebsrat ihm von einzelnen Arbeitnehmern geschilderte Ungerechtigkeiten aufklären will. Aber sind dies Fälle des § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG? Bestenfalls stehen eine unzutreffende Eingruppierung nach § 99 BetrVG und dann die damit einhergehenden Informations- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Raum. Schlechtestenfalls soll der Betriebsrat – gesetzwidrig – als erweiterte Informationsstelle von Mitarbeitern missbraucht werden. Für die Kontrolle der Gehaltsgerechtigkeit würde es hingegen vollauf genügen, die mit dem betreffenden Mitarbeiter vergleichbaren Tätigkeiten, Stellenbeschreibungen und Eingruppierungen bei der Einsichtnahme besonders sorgsam zu prüfen. Ein Mehrwert durch die Namensnennung ist nicht erkennbar. Wenn er aber weder erkennbar, noch positiv vom Betriebsrat argumentiert werden kann, ist die dahingehende Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten datenschutzrechtlich – mangels Erforderlichkeit – unzulässig. 

Praxistipp

Die Entscheidung des BAG wird sich unter Betriebsräten schnell verbreiten – in Bezug auf das Recht zur namensscharfen Einsicht in die Bruttogehaltslisten. Weniger schnell verbreiten wird sich die Kunde, dass Betriebsräte ihren internen Datenaustausch und ihre Datenverarbeitung datenschutzkonform zu gestalten haben. Hier ist es ratsam, mit dem Betriebsrat das Gespräch zu suchen und ihm zur internen Organisation und Information der Betriebsratsmitglieder Unterstützung – etwa durch einen dahingehenden Zugang zum Datenschutzbeauftragten – einzuräumen und anzudienen.

Eine Reihe von Datenschutzbeauftragten hat uns gegenüber erkennen lassen, die Ansicht des BAG nicht zu teilen und die namensscharfe Weitergabe an den Betriebsrat als nicht erforderlich und damit als datenschutzrechtlich unzulässig anzusehen. Immerhin werden sich die Datenschutzbehörden, die die Auffassung des BAG nicht teilen, von Arbeitgebern den berechtigten Hinweis auf die Entscheidung des BAG zur Vermeidung von Bußgeldern entgegenhalten lassen müssen; es kann schließlich kaum richtig sein, Arbeitgeber mit einem Bußgeld für die Befolgung der BAG-Rechtsprechung zu belegen.

Als PDF herunterladen

Ansprechpartner

Sie benutzen aktuell einen veralteten und nicht mehr unterstützten Browser (Internet-Explorer). Um Ihnen die beste Benutzererfahrung zu gewährleisten und mögliche Probleme zu ersparen, empfehlen wir Ihnen einen moderneren Browser zu benutzen.