28.10.2021Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2021

Menschenverachtende Aussagen aus vertraulichen Chatgruppen stützen zwar keine Kündigung wohl aber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Juli 2021, 21 Sa 1291/20

Aussagen eines Mitarbeiters in einer vertraulichen Chatgruppe können vom Arbeitgeber nicht herangezogen werden, um eine Kündigung sozial zu rechtfertigen. Etwas Anderes kann in sog. Tendenzunternehmen für Tendenzträger gelten. Eine hohe Position im Unternehmen lässt allerdings noch nicht auf eine Tendenzträgereigenschaft schließen. Macht das Unternehmen aber geltend, dass durch die – in die Öffentlichkeit gelangten – Aussagen aus der vertraulichen Chatgruppe deren Betriebszweck im Hinblick auf Gewinnung neuen Personals und dem Umgang mit ihren Klienten beeinträchtigt werden kann, kann dies einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG tragen. 

Sachverhalt

Die beklagte Arbeitgeberin ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, die als sozialer Dienstleister auf diversen sozialen Gebieten tätig ist. Mit ca. 800 betreuten Personen ist der Bereich Migration der wirtschaftlich größte Teil der Beklagten. 

Der Kläger war bei der Beklagten in verschiedenen Positionen tätig; zuletzt als „technischer Leiter“. Dabei obliegen ihm Aufgaben wie das Immobilienmanagement, das Inventar, die Informations- und Kommunikationstechnik, die Arbeitssicherheit und Versicherungen. In dieser Position gehört der Kläger – neben dem Geschäftsführer und den Bereichsleitern – zum Leitungsteam der Beklagten. 

Der Kläger war Teil einer dreiköpfigen privaten Whats-App Chatgruppe mit dem Namen „Die Nicht-Verstrahlten!“. Der Kläger beteiligte sich an den Unterhaltungen der Chatgruppe über sein privates Mobiltelefon. 

Durch einen Zufall gelangte die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Kündigung eines anderen Chat-Mitglieds an die Protokolle der Chatgruppe. Der Kläger äußerte sich darin in besonderem Maße herablassend gegenüber geflüchteten Menschen. Er bezeichnete diese unter anderem als „Bandwürmer“ oder „Parasiten“ und sprach ihnen den Sinn für Hygiene ab. 

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgerecht. Zudem stellte die Beklagte einen Auflösungsantrag gemäß § 9 KSchG.

Der Vorfall wurde im Anschluss publik und von einer lokalen Zeitung aufgegriffen.

Entscheidung des LAG

Das Arbeitsgericht Brandenburg hatte der Kündigungsschutzklage mit der Argumentation stattgegeben, dass die Chatverläufe von der Beklagten nicht zur Begründung der Kündigung herangezogen werden dürfen. Die Verläufe seien vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt. 

Das LAG bestätigt diese Ansicht des Arbeitsgerichts Brandenburg. Die Nachrichten der Chat-Gruppe seien in einem vertraulichen Umfeld getätigt worden. 

Eine verhaltensbedingte Kündigung sei ausgeschlossen. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen, dass seine Äußerungen aus diesem geschützten privaten Bereich heraustreten. Das folgert das Gericht aus der Bezeichnung der Chat-Gruppe („Die Nicht-Verstrahlten!“) sowie der Nutzung der privaten Mobiltelefone. Die Bezeichnung der Chat-Gruppe lasse auf ein besonderes „Gemeinschaftsgefühl“ schließen. 

Auch könne die Kündigung nicht personenbedingt sozial gerechtfertigt werden, falls der Kläger die erforderliche Eignung und Fähigkeit nicht (mehr) besitzt. Das sei zwar grundsätzlich möglich, wenn der Kläger Tendenzträger sei, etwa auf konfessionellem, politischem, gewerkschaftlichem, wissenschaftlichem, karitativem, künstlerischen oder ähnlichem Gebiet und sich nachhaltig der Tendenz zuwider verhalte. Der Kläger sei aber wegen seiner bloßen technischen Position gerade kein Tendenzträger und die Grundzüge für Tendenzträger ließen sich auch nicht auf Nicht-Tendenzträger übertragen.

Letztlich sei aber – anders als das Arbeitsgericht annahm – der Auflösungsantrag begründet. Die Beklagte könne ihren Auflösungsantrag unter bestimmten Voraussetzungen auf die Gründe der ausgesprochenen Kündigung stützen. Sie müsse dann aber im Einzelnen darlegen, warum die für eine Kündigung unzureichenden Gründe einer dem Betriebszweck dienlichen Zusammenarbeit entgegenstehen. Die Beklagte hatte im Einzelnen dargetan, dass ihr durch das Bekanntwerden der Vorfälle in einer breiteren Öffentlichkeit Probleme bei der Gewinnung von Personal sowie von freiwilligen Helfern drohten. Auch befürchtete die Beklagte Beeinträchtigungen der betreuten Menschen, wenn am Arbeitsverhältnis mit dem Kläger festgehalten würde.

Dem Kläger helfe letztlich auch nicht sein Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Grundrechte seien nicht schrankenlos gewährleistet, sondern seien immer in Einklang mit anderen Grundrechten zu bringen. Dem Grundrecht des Klägers stünde in diesem Falle das Recht der in Bezug genommenen Menschen auf Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) entgegen. Diese sei unantastbar.

Die Revision wurde zugelassen.

Hinweise

Im Kern bestätigt das LAG die allgemein vertretene Ansicht, dass private Inhalte aus privaten (Chat-) Unterhaltungen auch privat bleiben und nicht negativ auf das Beschäftigungsverhältnis einwirken können. Die Inhalte sind vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung der informationellen Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002, 2 AZR 418/01). Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre sei, so das BAG, Ausdruck der Persönlichkeit und daher besonders schützenswert.

Wann Unterhaltungen allerdings als „privat“ und damit vertraulich gelten, muss in jedem Einzelfall entschieden werden. So ließe sich zum Beispiel an der Beteiligung eines größeren Personenkreises und der damit verbundenen größeren persönlichen Distanz auf eine nicht mehr private Unterhaltung schließen. Das könnte auch gelten, wenn sich die Gesprächspartner erst kurz kennen und die Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers noch nicht erprobt ist. Es sind daher – wie auch schon das BAG festgestellt hat – stets die Umstände zu berücksichtigen unter denen die Äußerungen getätigt wurden (vgl. BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002, 2 AZR 418/01).

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