16.06.2025 Fachbeitrag

Transformationen und Mitbestimmung: Gesetzliche Vorgaben und praktische Herausforderungen

Beitragsreihe zu arbeitsrechtlichen Tranformationsprojekten – 1

1. Die Besonderheiten von Transformationen im Unternehmen

Transformationsprojekte in Unternehmen zeichnen sich heute durch eine hohe Komplexität und Dynamik aus. Anders als klassische Reorganisationsprojekte, bei denen ein klar umrissenes Zielbild und ein festes Maßnahmenpaket im Vordergrund stehen, sind Transformationen häufig von einer Vielzahl paralleler Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen geprägt. Typisch ist, dass das finale Zielbild zu Beginn der Umsetzung noch nicht vollständig feststeht oder sich im Laufe der Planung und Umsetzung weiterentwickelt. Dies erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität und Agilität – sowohl in der Planung als auch in der Durchführung. 

2. Gesetzliche Rahmenbedingungen: Das Betriebsverfassungsgesetz als Herausforderung

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) regelt die Beteiligungsrechte der Betriebsräte. Hierzu gehört insbesondere die Beteiligung bei grundlegenden Veränderungen der Betriebsstruktur oder der Betriebsorganisation. In solchen Fällen ist der Betriebsrat nach §§ 111 ff. BetrVG zu beteiligen. Kommen neue technische Elemente zum Einsatz oder sind Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu bedenken, so kommen erzwingbare Beteiligungsrechte nach § 87 BetrVG hinzu. 

Das BetrVG geht dabei von klaren, planbaren und abschließend definierten Maßnahmen aus, bei dem der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine Vorstellungen abschließend erläutern und mit diesem hierüber verhandeln kann. Transformationsprojekte beinhalten jedoch häufig iterative, flexible und teils noch offene Vorstellungen auf Seiten des Arbeitgebers. Diese Diskrepanz stellt Unternehmen und Betriebsräte vor besondere Herausforderungen, da die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte dennoch uneingeschränkt gelten. 

3. Ablauf und Anforderungen des Mitbestimmungsprozesses nach dem BetrVG

Der Mitbestimmungsprozess ist im Gesetz klar strukturiert und stellt hohe Anforderungen an den Arbeitgeber. Ein Schritt muss zwingend nach dem anderen erfolgen:

  • Frühzeitige und umfassende Information: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über geplante Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Belegschaft zu informieren. Dies umfasst nicht nur eine mündliche Unterrichtung, sondern auch die Überlassung aller relevanten Unterlagen, wie Gutachten, Planungsdokumente oder Wirtschaftlichkeitsberechnungen.
  • Beratungspflicht: Der Arbeitgeber muss die geplante Betriebsänderung, die Einführung neuer Software oder den sonstigen Gegenstand der Mitbestimmung mit dem Betriebsrat beraten. Ziel ist es, einen Interessenausgleich zu versuchen und gegebenenfalls einen Sozialplan oder eine Betriebsvereinbarung abzuschließen.
  • Konkretisierung der Planung: Die Beratungspflicht kann der Unternehmer nur dann erfüllen, wenn die Informationen so konkret sind, dass sich der Betriebsrat ein vollständiges Bild von der geplanten Maßnahme und ihren Auswirkungen machen kann. Reine Absichtserklärungen oder vage Zielbilder reichen nicht aus, um den Vorgaben des Gesetzes gerecht zu werden.
  • Verhandlung im Rahmen einer Einigungsstelle: Die Einigungsstelle kann ein Arbeitgeber im Grundsatz erst dann anrufen, wenn über eine konkret beschriebene Betriebsänderung oder mitbestimmte sonstige Maßnahme ohne Ergebnis ernsthaft verhandelt wurde. Innerhalb der Einigungsstelle hängen die Voraussetzungen für die Umsetzung der unternehmerischen Maßnahme vom Inhalt des Beteiligungsrechts ab. Bei einer geplanten betriebsändernden Maßnahme bedarf es keine Einigung; scheitern die Verhandlungen auch in der Einigungsstelle, kann das Unternehmen die Maßnahmen auch ohne die Zustimmung der Betriebsräte umsetzen. Geht es um einen Sozialplan oder Maßnahmen im Sinne von § 87 BetrVG, kommt es bei einer fehlenden Einigung der Betriebsparteien zu einer Zwangsschlichtung. 

Diese Anforderungen können in Transformationsprojekten allerdings häufig nicht in der hier dargestellten, klaren Reihenfolge erfüllt werden. Um gleichwohl dem Mitbestimmungsprozess genüge zu tun und letztlich eine Umsetzung der geplanten Maßnahmen sicherstellen zu können, ist es essenziell, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats fortlaufend zu beachten und die Informations- und Verhandlungspflichten regelmäßig zu erfüllen. 

4. Lösungsansätze für die Praxis: Flexibilität und Rechtssicherheit verbinden

Um die gesetzlichen Anforderungen mit der notwendigen Flexibilität von Transformationsprojekten zu verbinden, haben sich in der Praxis verschiedene Lösungsansätze bewährt:

  • Transformation in Teilschritte untergliedern: Die Gesamtmaßnahme wird in klar definierte, aufeinander aufbauende Teilschritte zerlegt. Für jeden Schritt werden die Mitbestimmungsrechte separat beachtet und die erforderlichen Informationen bereitgestellt. Bei entsprechender Einigung mit dem Betriebsrat können jedenfalls Abschnitte und Teile der Transformation schrittweise und rechtssicher umgesetzt werden. Ein solches Vorgehen setzt voraus, dass die einzelnen Teilschritte selbständig und ohne ungelöste Querverbindungen zu anderen betrieblichen Einheiten umgesetzt werden können. Lehnt der Betriebsrat eine Einigung ab und erfüllen die unternehmerischen (Teil-)Pläne diese Anforderungen, gelten hierfür die unter Ziffer 3. beschriebenen Umsetzungsmöglichkeiten.
  • Prozessvereinbarungen mit dem Betriebsrat: Es empfiehlt sich, mit dem Betriebsrat eine Prozessvereinbarung abzuschließen. Prozessvereinbarungen können etwa Zuständigkeitsfragen (z. B. Verhandlungs- und Abschlussvollmachten) klären und mit sog. Monitoring- und Konfliktlösungen wertvolle Verfahrensregelungen treffen. Da sog. Monitoring kann etwa regeln, dass die Umsetzung bestimmter Maßnahmen bereits beginnen darf, während der Betriebsrat im Rahmen eines genau definierten Verfahrens weiterhin über die Konkretisierung oder die Änderung von Planungen informiert und ggf. zusätzlich beteiligt wird. Hierbei kann auch der Weg in die Einigungsstelle und deren Besetzung bereits klar definiert werden, um bei Meinungsverschiedenheiten schnell handlungsfähig zu bleiben (ständige Einigungsstelle).
  • Kopplung von Sozialplanleistungen und Qualifizierungsmaßnahmen an Projektfortschritt: Incentivierungen können geschaffen werden, indem bestimmte Sozialplanleistungen oder Qualifizierungsmaßnahmen erst mit Umsetzung bestimmter Schritte oder nach weiteren Einigungen gewährt oder auf weitere Mitarbeitergruppen ausgeweitet werden. So bleibt für beide Seiten der Anreiz erhalten, den Transformationsprozess konstruktiv zu begleiten und zu fördern.
  • Vereinbarung von Leitlinien: Dort, wo einzelne Zielbilder und Umsetzungsschritte noch nicht konkret genug feststehen, kann es zudem hilfreich sein, sich mit dem Betriebsrat zumindest auf die Grundsätze der Umsetzung zu einigen. Ein Beispiel wäre etwa die Zusammenlegung zweier Bereiche ohne Personalabbau. Möglich ist es dann beispielsweise, dass die Betriebsräte einer Umsetzung bestimmter Schritte bereits zustimmen, solange diese innerhalb der definierten Leitlinien stattfindet.   
  • Transparente Kommunikation und Dokumentation: Eine offene und kontinuierliche Kommunikation mit dem Betriebsrat sowie eine sorgfältige Dokumentation aller Informations- und Beratungsprozesse sind zudem unerlässlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, spätere Streitigkeiten zu vermeiden und auch für den Fall einer Nichteinigung möglichst schnell den Weg in die Einigungsstelle zu finden.  

Fazit

Die Umsetzung von Transformationen im Unternehmen erfordert ein sensibles Gleichgewicht zwischen Flexibilität und der Einhaltung gesetzlicher Mitbestimmungsrechte. Durch eine vorausschauende Planung, die Untergliederung in Teilschritte, Prozessvereinbarungen und eine transparente Kommunikation können Unternehmen und Betriebsräte gemeinsam Lösungen finden, die sowohl den Anforderungen moderner Transformationen als auch den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes gerecht werden.

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