28.11.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht November 2022

Videointerview als Durchführung eines Vorstellungsgesprächs nach § 165 Satz 3 SGB IX

LAG Hamm 21.07.2022 - 18 Sa 21/22

Im Zuge der Corona-Pandemie haben nicht nur die Arbeit im Homeoffice oder die Durchführung von Videokonferenzen anstelle von Präsenztreffen vermehrt Einzug in den Arbeitsalltag gefunden, auch Bewerbungsverfahren wurden in größerem Umfang unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel durchgeführt. Angesichts der damit sowohl für Unternehmen als auch Bewerber verbundenen Vorteile (bspw. in Form der Einsparung von Zeit und Reisekosten) ist damit zu rechnen, dass Unternehmen auch in Zukunft von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. 

Da ungeachtet des Durchführungswegs die Vorgaben des AGG im Rahmen des Bewerbungsprozesses Beachtung finden müssen, musste sich das LAG Hamm jüngst mit der Frage befassen, ob die Durchführung eines Vorstellungsgesprächs in Form eines Video-Interviews auch in den Fällen zulässig ist, wenn der oder die jeweilige Bewerberin einen Anspruch auf Einladung zu einem Bewerbungsgespräch gemäß § 165 Satz 3 SGB IX hat.

Sachverhalt

Gegenstand des Rechtsstreits war die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG.

Der schwerbehinderte Kläger bewarb sich erfolglos auf eine Stelle als Seelsorger in einer Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige, die das beklagte Erzbistum ausgeschrieben hatte. In der Ausschreibung heißt es unter anderem: „Es handelt sich um eine Teilzeitstelle mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,5 Stunden. Eine Kombination mit der Stelle in der Justizvollzugsanstalt in A ist in Vollzeit vorstellbar.“

Im Anschreiben seiner Bewerbung wies der Kläger darauf hin, dass er schwerbehindert sei. Das beklagte Erzbistum lud den Kläger daraufhin zu einem Vorstellungsgespräch in Form eines Video-Interviews ein und vereinbarte einen Termin, der wie vorgesehen am 30.06.2021 stattfand. Der Kläger erhielt eine Absage.

Seine bei der zuständigen Stelle des Erzbistums eingereichte Beschwerde nach dem AGG begründete der Kläger damit, dass Schwerbehinderte bei gleicher Qualifikation vorrangig einzustellen seien. Das beklagte Erzbistum teilte dem Kläger mit, dass seine Beschwerde keinen Erfolg habe; da man sich für den am besten geeigneten Bewerber entschieden habe. Mit Klage vom 26.08.2021 forderte der Kläger die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 8.000,00 Euro.

Der Kläger vertrat u.a. die Auffassung, die Beklagte sei als öffentlicher Arbeitgeber verpflichtet gewesen, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das durchgeführte Video-Interview sei jedoch nicht als Vorstellungsgespräch im Sinne des § 165 S. 3 SGB IX anzusehen. 

Entscheidungsgründe

Die Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht vermochte nicht festzustellen, dass eine Benachteiligung des Klägers „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgte. Insbesondere schloss es die Anwendung der gesetzlichen Beweiserleichterung des § 22 AGG zu Gunsten des Klägers aus, weil dieser keine Indizien für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vorgetragen habe. Zwar könne ein Verstoß gegen die aus § 165 S. 3 SGB IX folgende Pflicht, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, ein solches Indiz begründen. Das beklagte Erzbistum habe indes nicht gegen § 165 S. 3 SGB IX verstoßen. Insofern könne auch offenbleiben, ob das Erzbistum überhaupt als öffentlicher Arbeitgeber anzusehen sei.

Denn der Kläger sei unstreitig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, das auch am 30.06.2021 tatsächlich durchgeführt worden sei. Es sei unschädlich, dass es sich bei dem Vorstellungsgespräch um ein Video-Interview gehandelt habe. Im Rahmen des Vorstellungsgesprächs dürfe der Arbeitgeber auch moderne Kommunikationsmittel einsetzen und das Gespräch beispielsweise per Videochat führen. Maßgeblich sei, dass das Gespräch einen umfassenden Eindruck über die fachliche und persönliche Eignung des Bewerbers zu vermitteln imstande sei. Insofern begegne die Durchführung eines Vorstellungsgesprächs per Video-Interview keinen Bedenken, da das Video-Interview ebenso wie das persönliche Gespräch die visuelle und akustische Wahrnehmung des Gesprächspartners erlaubt. Ob dies beim Auftreten technischer Probleme im Laufe des Interviews anders zu beurteilen sei, könne dahinstehen. Es sei nicht ersichtlich, dass sich derartige Probleme bei dem Interview ergeben hätten, das mit dem Kläger geführt wurde.

Das Landesarbeitsgericht stellt klar, dass auch bei schwerbehinderten Bewerbern die Durchführung eines Bewerbungsgesprächs im Wege des Video-Interviews in Betracht komme, sofern der schwerbehinderte Mensch keine behinderungsbedingten Einschränkungen aufweise, die gerade die Teilnahme an einem Video-Interview erschweren. Derartige Einschränkungen seien im Falle des Klägers nicht ersichtlich.

Die Frage, ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Arbeitgeber mit einigen Bewerbern persönliche Gespräche, mit anderen hingegen nur Video-Interviews durchgeführt hätte, musste das Gericht nicht entscheiden, da mit allen Bewerbern ausschließlich Gespräche per Video-Interview geführt wurden.

Ferner, so das Landesarbeitsgericht, sei die Einladung des Klägers zum Video-Interview vor dem Hintergrund eines (jedenfalls in großen Teilen der Gesellschaft so wahrgenommenen) Pandemiegeschehens erfolgt, mithin zu seinem Schutz vor einer Ansteckung, die im Falle eines persönlichen Gesprächs hätte erfolgen können. Der Kläger habe auch keine Einwände gegen die Durchführung eines Video-Interviews anstelle eines persönlichen Gesprächs erhoben. Es sei überdies nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber ein Video-Interview anstelle eines persönlichen Bewerbungsgesprächs durchführe, um dem Bewerber einen längeren Anreiseweg zu ersparen. So verhielt es sich im Streitfall (der Kläger wohnt in Bayern).

Aus dem Verlauf des Video-Interviews ergebe sich ebenfalls kein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung. Es sei nicht ersichtlich, dass es im Laufe des Gesprächs zu unzulässigen Fragen und Äußerungen im Hinblick auf die Schwerbehinderung des Klägers kam. Ebenso wenig lasse sich feststellen, dass während des Gesprächs ein unangemessener, seine psychische und physische Belastbarkeit übersteigender Druck auf den Kläger ausgeübt worden sei. Im Gegenteil: Der Kläger habe in der Klageschrift selbst vorgetragen, der Verlauf des Gesprächs habe auf eine Einstellung schließen lassen. 

Bedeutung der Entscheidung für die Praxis

Die Entscheidung verdient Zustimmung. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Begriff des Vorstellungsgesprächs weit zu verstehen und umfasst grundsätzlich alle Instrumente im Verfahren der Personalauswahl, die der Arbeitgeber nutzt, um sich ein Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber zu machen (BAG, Urt. v. 27.8.2020 – 8 AZR 45/19, NZA 2021, 200). § 165 S.3 SGB IX erfasst diese Instrumente, macht aber keine Vorgaben hinsichtlich des Durchführungswegs, so dass dem Arbeitgeber die Entscheidung über die Auswahl der eingesetzten Kommunikationsmittel zusteht. Ein allgemeiner Anspruch schwerbehinderter Bewerber auf eine bestimmte Form des Vorstellungsgesprächs besteht dabei nicht. Der Entscheidung kann indes nicht entnommen werden, dass die Durchführung eines Vorstellungsgesprächs in Form eines Video-Interviews stets zulässig wäre. Vielmehr bleibt es dabei, dass die Frage, ob Form und Verlauf des Vorstellungsgesprächs eine Benachteiligung des Bewerbers aufgrund seiner Schwerbehinderung indiziert, anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden muss.

Praxishinweis

Möchte der Arbeitgeber Bewerbungsgespräche in Form von Videointerviews durchführen, so ist darauf zu achten, dass schwerbehinderten Bewerbern aufgrund des gewählten Durchführungsweges keine Nachteile gegenüber nichtschwerbehinderten Bewerbern entstehen. Ist erkennbar oder macht der schwerbehinderte Bewerber geltend, dass behinderungsbedingte Einschränkungen bestehen, die gerade die Teilnahme an einem Video-Interview erschweren, so sollte ein Präsenzgespräch als Alternative angeboten und dieses Angebot entsprechend dokumentiert werden. Zudem empfiehlt es sich, die Gründe für die Entscheidung, Video-Interviews anstelle von Präsenzgesprächen anzubieten, in nachvollziehbarer Weise festzuhalten. 

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