29.04.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2022 | Update China Desk 4/2022

Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages

BAG 24. Februar 2022 - 6 AZR 333/21

In seiner Entscheidung vom 24. Februar 2022 (Az. 6 AZR 333/21) hatte das Bundesarbeitsgericht erneut Gelegenheit, sich mit dem „Gebot fairen Verhandelns“ zu befassen. 

Sachverhalt 

Die Parteien stritten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die seit mehreren Jahren als Teamkoordinatorin des Verkaufs bei der Beklagten tätig war, durch Aufhebungsvertrag beendet wurde. 

Die Klägerin schloss in einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten sowie dem späteren Prozessbevollmächtigten der Beklagten einen Vertrag über die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses, nachdem ihr der Vorwurf eröffnet worden war, sie habe Änderungen von Einkaufspreisen vorgenommen, um einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Der genaue Verlauf des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag kurze Zeit später wegen widerrechtlicher Drohung an.

Vor Gericht hat die Klägerin die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages geltend gemacht. Sie hat behauptet, ihr sei die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden, sollte sie den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnen. Ihrer Bitte, Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Die Beklagte habe hierdurch das „Gebot fairen Verhandelns“ verletzt. 

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung wird hierzu ausgeführt: 

Selbst wenn der von der Klägerin geschilderte Ablauf tatsächlich zutreffe, habe der Klägerin ein Anfechtungsrecht wegen widerrechtlicher Drohung nach § 123 BGB nicht zugestanden, denn ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall angesichts der gravierenden Vorwürfe sowohl den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Betracht ziehen dürfen.

Das Landesarbeitsgericht sei darüber hinaus zutreffend zu dem Schluss gelangt, dass die Beklagte nicht unfair verhandelt und dadurch gegen ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen habe. Allein die Unterbreitung eines Aufhebungsvertrages zur sofortigen Annahme und die daraus folgende Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung über die Annahme verletze nicht die Entscheidungsfreiheit der Klägerin.

Einordnung der Entscheidung

Aufhebungsverträge sind ein praktikables Mittel, wenn es um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen geht. Sie unterliegen weder den Voraussetzungen des (allgemeinen und besonderen) Kündigungsschutzes noch ist ihre Wirksamkeit von der Beteiligung des Betriebsrates oder der Einschaltung sonstiger Stellen abhängig. Probleme können sich aber dann stellen, wenn eine Seite den Abschluss des Aufhebungsvertrages reut und daher versucht, sich nachträglich vom unliebsamen Vertrag zu lösen.

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Februar 2019 (Az. 6 AZR 75/18) herrschte in diesen Fällen große Unsicherheit. Denn das Bundesarbeitsgericht hatte in seiner Entscheidung auf das sogenannte „Gebot fairen Verhandelns“ zurückgegriffen und war zu dem Schluss gekommen, dass Aufhebungsverträge, die unter Verstoß hiergegen zustande gekommen seien, unwirksam seien. Ein Verstoß gegen das aus der Rücksichtnahme- und Treuepflicht des Arbeitgebers abzuleitende „Gebot fairen Verhandelns“ liege immer dann vor, „wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht“ (BAG 7. Februar 2019 - 6 AZR 75/18 - Rn. 34). Unklar blieb jedoch, wann die tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen „psychischen Drucksituation“ konkret vorliegen und wie die Grenzen des „Gebots fairen Verhandelns“ zu ziehen sein würden.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Februar 2022 schafft, soweit es sich aus der Pressemitteilung ergibt, hier Klarheit und präzisiert Reichweite und Anwendungsbereich des „Gebots fairen Verhandelns“: Ob ein Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das „Gebot fairen Verhandelns“ zustande gekommen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Allein der Umstand, dass der Abschluss eines Aufhebungsvertrages von der sofortigen Annahme des Vertragsangebots abhängig gemacht wird, genügt zur Annahme unfairen Verhandelns jedoch nicht – auch wenn dem Arbeitnehmer weder Bedenkzeit noch die Möglichkeit bleibt, Rechtsrat einzuholen.

Diese Entscheidung verdient Zustimmung. Ein Verstoß gegen das „Gebot fairen Verhandelns“ kann nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen und Sondersituationen extremer Beeinträchtigung der Entschlussfreiheit des Gegenübers vorliegen. Richtig ist, dass nicht jede Konfrontation mit unerwarteten Situationen oder die Notwendigkeit eines zügigen Entschlusses (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB) stets unfair ist. Anderenfalls würde die aus der Privatautonomie abzuleitende Befugnis der Parteien, über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei bestimmen zu können, über Gebühr eingeschränkt. Das „Gebot fairen Verhandelns“ kann auch nicht als eine Art „Beendigungsschutz light“ bei Aufhebungsverträgen herangezogen werden. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit, zu Irrtümern, Täuschungen und Drohungen sowie zu sittenwidrigen Geschäften (§§ 104 ff., 119 ff., 138 BGB) bereits weitreichende Schutzmechanismen geschaffen. Begrüßenswert ist es daher ebenso, dass nicht jede Androhung einer Kündigung oder einer Strafanzeige unfaires Verhandeln darstellt – insbesondere dann, wenn ein Arbeitgeber sie ernsthaft hat in Betracht ziehen dürfen und sie damit nicht inadäquat und widerrechtlich ist.

Für die Praxis gilt: Ob fair oder unfair verhandelt wurde, ergibt sich aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Umstände, die für einen Verstoß gegen das „Gebot fairen Verhandelns“ sprechen können, sind unter anderem das Verhandeln außerhalb des Betriebs oder außerhalb geschäftsüblicher Zeiten, Situationen der Ermüdung oder Erschöpfung des Gegenübers, sprachliche Barrieren sowie ein aktives Täuschen über Gesprächsinhalte im Voraus. Diese sollte ein Arbeitgeber auch in Zukunft vermeiden. Insbesondere zu berücksichtigen ist überdies, dass das „Gebot fairen Verhandelns“ nicht auf Beendigungssachverhalte beschränkt ist, sondern auch bei allen sonstigen Verhandlungen, etwa anlässlich Vertragsänderungen, einzuhalten ist. Speziell für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen können ferner auch Abwicklungsverträge nach Ausspruch einer Kündigung als Alternative in Betracht gezogen werden.

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