Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoßes gegen das Hinweisgeberschutzgesetz?
Update Arbeitsrecht Mai 2025
Urteilsbesprechung: LAG Niedersachsen vom 11.11.2024 – 7 SLa 306/24
Einleitung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 11. November 2024 (7 SLa 306/24) wichtige Grundsätze zur Unwirksamkeit einer Kündigung wegen eines behaupteten Verstoßes gegen das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) aufgestellt. Im Mittelpunkt stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung als unzulässige Repressalie gegen einen Hinweisgeber unwirksam ist. Das Urteil gibt Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen Orientierung, wie der Schutz von Whistleblowern im Arbeitsrecht praktisch ausgestaltet ist.
Sachverhalt
Der Kläger war als Leiter Recht im Bereich Corporate Office bei der Beklagten beschäftigt. Im Rahmen seiner Tätigkeit äußerte er gegenüber dem Geschäftsführer kartellrechtliche Bedenken zu einem Kundenvertrag. Die Beklagte holte daraufhin ein externes Gutachten ein, das keinen Verstoß feststellte. Der Kläger hielt das Gutachten für fehlerhaft und teilte dies dem Geschäftsführer mit. Kurz vor Ablauf der Probezeit kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich. Der Kläger machte geltend, die Kündigung sei eine unzulässige Repressalie wegen seiner Hinweise auf Rechtsverstöße und daher nach § 36 HinSchG unwirksam.
Entscheidung des Gerichts
Das LAG Niedersachsen wies die Klage ab. Die Kündigung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen das HinSchG unwirksam. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Voraussetzungen für den Schutz nach dem HinSchG vorlägen. Insbesondere fehle es an einer hinreichend konkreten und rechtmäßigen Meldung eines Verstoßes im Sinne des Gesetzes.
Wesentliche Erkenntnisse für die Praxis
1. Substantiierter Vortrag erforderlich
Arbeitnehmer, die sich auf den Schutz des § 36 HinSchG berufen wollen, müssen konkret und nachvollziehbar darlegen,
- welche Verstöße sie gemeldet haben,
- dass diese Verstöße unter den sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG fallen (z.B. Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, bestimmte Verstöße gegen EU-Recht),
- und dass eine Meldung über die vorgesehenen internen oder externen Kanäle erfolgt ist.
Pauschale Hinweise oder bloße Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der täglichen Arbeit reichen nicht aus, um in den Genuss des Schutzbereichs von § 36 HinSchG zu kommen.
2. Beweislast und Beweislastumkehr
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer rechtmäßigen Meldung und einer nachfolgenden Benachteiligung liegt zunächst beim Arbeitnehmer. Erst wenn diese Voraussetzungen schlüssig dargelegt sind, greift die Beweislastumkehr des § 36 Abs. 2 HinSchG hinsichtlich der Kausalität zwischen Meldung und Benachteiligung. Dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Kündigung aus anderen Gründen erfolgte.
3. Schutzbereich des HinSchG ist eng auszulegen
Nicht jede interne rechtliche Einschätzung oder allgemeine Compliance-Tätigkeit ist vom Hinweisgeberschutz umfasst. Der Schutz greift nur bei Meldungen, die einen in § 2 HinSchG genannten Rechtsbereich betreffen. Insoweit ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet.
4. Formale Anforderungen an die Meldung
Der Hinweisgeber muss die vorgesehenen Meldewege nutzen. Eine bloße Mitteilung an den Vorgesetzten genügt in der Regel nicht, wenn ein internes oder externes Meldesystem vorhanden ist.
5. Kündigung kann trotz Probezeit unwirksam sein – aber nur bei Repressalie
Auch während der Probezeit oder im Kleinbetrieb kann eine Kündigung unwirksam sein, wenn sie als Repressalie gegen einen Hinweisgeber erfolgt. Allerdings muss der Zusammenhang zwischen Meldung und Kündigung vom Arbeitnehmer klar und substantiiert dargelegt werden.
6. Arbeitgeber sollten Entscheidungsprozesse dokumentieren
Für Arbeitgeber empfiehlt es sich, die Gründe für eine Kündigung – insbesondere bei Mitarbeitern, die Hinweise gemeldet haben – sorgfältig zu dokumentieren. So kann im Streitfall nachgewiesen werden, dass die Kündigung unabhängig von einer etwaigen Meldung erfolgte.
Praxistipp
Arbeitnehmer, die sich auf den Schutz des HinSchG berufen möchten, sollten ihre Hinweise möglichst konkret, dokumentiert und über die vorgesehenen Kanäle abgeben. Arbeitgeber sollten ihre Compliance-Strukturen klar definieren und im Fall von Kündigungen die Entscheidungsfindung nachvollziehbar festhalten. Das Urteil des LAG Niedersachsen verdeutlicht, dass der Schutz des HinSchG nicht automatisch für jede interne Kritik oder rechtliche Einschätzung gilt. Nur wer die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt und seine Hinweise formal korrekt meldet, kann sich auf den besonderen Schutz berufen.