Wege- und Umkleidezeiten auf Flughafengelände sind keine vergütungspflichtige Arbeitszeit
Update Arbeitsrecht Mai 2025
LAG Hessen, Urt. v. 31.01.2025 - 10 SLa 564/24
Mit Urteil vom 31. Januar 2025 hat das Landesarbeitsgericht Hessen auf die von einem am Flughafen beschäftigten Arbeitnehmer eingelegte Berufung klargestellt, dass Wegezeiten und Umkleidezeiten auf dem Flughafengelände in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt keine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit beginnt erst mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme am konkreten Arbeitsplatz, nicht bereits mit dem Betreten des Betriebsgeländes oder des Sicherheitsbereichs. Die Wege- und Umkleidezeiten seien in dem zur Entscheidung stehenden Fall keine vergütungspflichtige Arbeitszeit, da sie nicht ausschließlich fremdnützig sind und das Umkleiden nicht zwingend im Betrieb erfolgen muss.
A. Sachverhalt
Die Beklagte ist die Betreiberin eines Flughafens. Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrer im Fahrzeugpool am Flughafen beschäftigt. Die Parteien streiten darüber, ob Wegezeiten (insbesondere die Zeit vom Passieren eines Kontrollpunkts auf dem Flughafengelände bis zum Arbeitszeiterfassungsterminal im Gebäude 414 sowie der Rückweg) und Umkleidezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind.
Der Kläger arbeitet im Schichtdienst auf Grundlage eines persönlichen Jahresdienstplanes und wird nach dem TVöD-F (VKA) vergütet. Der Arbeitsvertrag der Parteien und der TVöD-F (VKA) enthalten keine Regelungen zur Vergütungspflicht von Zeiten zwischen dem Betreten des Betriebsgeländes der Beklagten und dem Passieren der Arbeitszeiterfassung der Beklagten (wie z.B. Wegezeiten und Umkleidezeiten). Bei der Beklagten existiert jedoch eine Betriebsvereinbarung „Kleiderordnung“, die in einer Anlage die Regelung „Die Dienstkleidung kann auch auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz getragen werden, sollte aber dann den Tragevorschriften angepasst sein“ enthält. Die Beklagte stellt es den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern frei, ob sie ihre Dienstkleidung (bestehend aus Hemd, Hose, Fleece Troyer, Regenjacke und Sicherheitsschuhen) zu Hause anlegen oder sich auf dem Betriebsgelände umziehen.
Der Arbeitsplatz des Klägers befindet sich im Sicherheitsbereich des Flughafens. Um diesen zu erreichen, muss er einen Kontrollpunkt passieren, an dem Sicherheitskontrollen (Personen-, Ausweis-, ggf. Taschenkontrolle) durchgeführt werden. Diese Kontrollen beruhen auf EU-Verordnungen (VO Nr. 2320/2002 und VO Nr. 1138/2004) und dem Luftsicherheitsgesetz (§ 8 LuftSiG). Nach dem Passieren des Kontrollpunkts muss der Kläger eine gelbe Warnweste mit Namensaufdruck tragen und sich mit einem vom Arbeitgeber bereitgestellten Shuttlebus zum Gebäude 414 begeben. Dort kann er sich in einem Umkleideraum umziehen und muss anschließend am Zeiterfassungsterminal seine Arbeitszeit erfassen. Die Beklagte stellt es den Mitarbeitern frei, ob sie die Dienstkleidung zu Hause oder im Betrieb anlegen. Bei der Beklagten existiert eine Betriebsvereinbarung „Zugang zu Sicherheitsbereichen“, die auszugsweise die nachfolgende Regelung enthält: „Kontrollvorgänge erfolgen grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit, soweit sie nicht nach Arbeitsaufnahme im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit erforderlich werden (z.B. bei Fahrtätigkeit). Entstehen im Sinne von Abs. 2 Verzögerungen von erheblicher Dauer und entstehen dadurch Arbeitszeitversäumnisse, kann der Vorgesetzte ergebnisbezogen nach Zustimmung durch den Personalbereich über eine etwaige Bezahlung der versäumten Arbeitszeit entscheiden.“ Beim Passieren des Kontrollpunkts ist der Kläger aufgrund der bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung „Verkehrsordnung“ dazu verpflichtet, eine gelbe Warnweste mit einem Namensaufdruck der Beklagten zu tragen.
Die Beklagte setzt für das Umziehen pauschal jeweils fünf Minuten an und ermöglicht es den Arbeitnehmern, die Tätigkeit zehn Minuten vor Schichtende zu beenden, um sich umzuziehen.
Der Kläger begehrt die Vergütung der Wegezeiten zwischen Kontrollpunkt und Zeiterfassungsterminal sowie der Umkleidezeiten. Die Beklagte lehnt dies ab und sieht die vergütungspflichtige Arbeitszeit erst mit Betätigung des Zeiterfassungssystems als begonnen an.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen (vgl. Urt. v. 08.02.2024 - 26 Ca 5906/23). Der Kläger legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein.
B. Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts Hessen
Das Landesarbeitsgericht Hessen wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main.
1. Wegezeiten als nicht vergütungspflichtige Arbeitszeit
Zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB zählt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspreche die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen sei damit jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (vgl. BAG Urt. v. 23.04.2024 - 5 AZR 212/23, NZA 2024, 1504).
Danach stellt der Weg zur Arbeit und zurück grundsätzlich keine fremdnützige Tätigkeit dar und ist daher nicht nach § 611a Abs. 2 BGB zu vergüten. Es handelt sich vielmehr um eine zur privaten Lebensführung gehörende Tätigkeit, die nicht im alleinigen Interesse des Arbeitgebers erbracht wird. Die Arbeit beginnt nicht mit dem Betreten des Betriebsgeländes, sondern erst mit der tatsächlichen bestimmungsgemäßen Arbeitsaufnahme am konkreten Arbeitsplatz. Auch wenn das Betriebsgelände – wie im Fall eines Flughafens – sehr groß ist und der Arbeitnehmer auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz verschiedene Vorgaben des Arbeitgebers (z.B. Passieren von Kontrollpunkten, Nutzung von Shuttlebussen) zu befolgen hat, ändert dies nichts an der rechtlichen Bewertung. Insbesondere enthält die bei der Beklagten geltende Betriebsvereinbarung „Zugang zu Sicherheitsbereichen“ die Regelung, dass Kontrollvorgänge grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Die Sicherheitskontrollen beim Betreten des Sicherheitsbereichs dienen zudem nicht der Konkretisierung einer Arbeitspflicht, sondern der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Sicherheitsvorgaben aus den EU-Verordnungen (VO Nr. 2320/2002 und VO Nr. 1138/2004) sowie aus § 8 LuftSiG. Das Erdulden der Kontrollen ist keine fremdnützige Arbeitsleistung, sondern dient dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Luftverkehrs. Die Nutzung des vom Arbeitgeber bereitgestellten Shuttleservices ist zwar faktisch notwendig, aber auch dies begründet keine Vergütungspflicht, da der Arbeitgeber in aller Regel kein Interesse an einer Verzögerung des Arbeitsweges hat und die Organisation des Shuttlesystems eine Nebenleistung im Rahmen der Sicherheitsanforderungen darstellt. Die Beklagte stellt den Shuttleservice daher letztlich im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit des Luftverkehrs an dem von ihr betriebenen Flughafen zur Verfügung und auch die Arbeitnehmer – namentlich der Kläger – profitieren von diesem Shuttleservice.
2. Umkleidezeiten als nicht vergütungspflichtige Arbeitszeit
Das An- und Ablegen von Dienstkleidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Umkleiden im Betrieb vorschreibt und die Dienstkleidung nicht auf dem Weg zur Arbeit getragen werden darf oder wenn die Dienstkleidung besonders auffällig ist. In diesem Fall handelt es sich bei dem Umkleiden um eine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit und der Arbeitgeber schuldet in der Folge Vergütung für die von dem Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit (vgl. BAG Urt. v. 23.04.2024 - 5 AZR 212/23, NZA-RR 2024, 522). Im vorliegenden Fall ist es den Arbeitnehmern der Beklagten freigestellt, die Dienstkleidung zu Hause oder im Betrieb anzulegen. Die Umkleidemöglichkeiten im Betrieb sind lediglich eine Option. Daher ist das Umkleiden, auch wenn es im Betrieb erfolgt, keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Auch der Weg zum Umkleideraum ist nicht vergütungspflichtig, da das Umkleiden nicht zwingend im Betrieb erfolgen muss. Das Überziehen der vorgeschriebenen Warnweste mit dem Aufdruck des Arbeitgebers beim Betreten des Sicherheitsbereichs ist eine zu vernachlässigende Tätigkeit, da sie nur ca. fünf Sekunden dauert und begründet daher keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Zudem dient diese Weisung der beklagten Arbeitgeberin wiederum lediglich der Gewährleistung der Betriebssicherheit sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beim Betreten des sicherheitsrelevanten Bereichs.
3. Keine abweichenden kollektivrechtlichen oder vertraglichen Regelungen
Weder der Arbeitsvertrag noch der TVöD-F enthalten Regelungen, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen würden. Die einschlägigen Betriebsvereinbarungen sehen ausdrücklich vor, dass Kontrollvorgänge grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit erfolgen.
C. Fazit
Mit der vorliegenden Entscheidung schließt sich das Landesarbeitsgericht Hessen der Rechtsprechungslinie des Bundesarbeitsgerichts an, wonach die Arbeitszeit erst mit der tatsächlichen bestimmungsgemäßen Arbeitsaufnahme am konkreten Arbeitsplatz beginnt und nicht bereits mit Betreten des Betriebsgeländes. Der Weg zur Arbeit und zurück stellt grundsätzlich keine fremdnützige Tätigkeit dar und ist daher grundsätzlich nicht zu vergüten. Etwas anderes gelte nach dem vorliegenden Urteil auch nicht bei besonders großen, weitläufigen Betrieben, wie einem Flughafen. Umkleidezeiten stellen nur dann vergütungspflichtige Arbeitszeit dar, wenn der Arbeitgeber das Umkleiden im Betrieb vorschreibt und die Dienstkleidung nicht auf dem Weg zur Arbeit getragen werden darf oder wenn die Dienstkleidung besonders auffällig ist. Da im vorliegenden Fall das Umkleiden im Betrieb nicht vorgeschrieben war, sondern lediglich eine Option darstellte, kam es auf die Frage der Auffälligkeit der Dienstkleidung nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hessen nicht mehr an.
Der Kläger hat gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen Revision zum Bundesarbeitsgericht (Az. 5 AZR 75/25) eingelegt, sodass eine höchstrichterliche Entscheidung mit Spannung abzuwarten bleibt. Interessant wird insbesondere die Frage sein, ob im vorliegenden Fall aufgrund der besonderen Umstände des Betriebs (große Entfernungen, besondere Sicherheitsvorschriften) von den vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgewichen werden kann bzw. muss.